Zärtlicher Eroberer
halben Stunde lehnte Valerian sich zurück und beobachtete, wie Beldon die raubeinigen Soldaten um den Finger wickelte. Er durchschaute die Taktik seines Freundes. Beldon war sich ebenfalls bewusst, dass eine Flucht nicht sinnvoll war, aber es war durchaus von Vorteil, wenn man seine Gefangenenwärter auf seiner Seite hatte. Es würde Valerian nicht überraschen, wenn er während der morgigen Fahrt keine Handschellen zu tragen brauchte, oder wenn Beldon bei ihm in der Kutsche sitzen durfte. Solch kleinen Annehmlichkeiten bedeuteten in Situationen wie dieser sehr viel. Und vielleicht versuchte er ja auch, einen echten Verbündeten zu gewinnen, der sich in London für Valerian einsetzen würde.
Irgendwann wurde es Zeit zum Schlafengehen. Lucien hatte sich ein Einzelzimmer im ersten Stock geben lassen, die anderen sollten auf Pritschen im Schlafsaal nächtigen, Valerian eingeschlossen. Die Soldaten sollten abwechselnd Wache halten, für den Fall, dass dieser irgendwelche Dummheiten beabsichtigte.
Es war Valerian eine ungeheure Erleichterung, Beldon bei sich zu haben. „Du schläfst zuerst“, sagte sein Freund ruhig und zeigte auf eine der Pritschen. „Ich übernehme die erste Wache.“
Valerian nickte. Auch Beldon sah also die Gefahr, dass Canton möglicherweise keine Skrupel hatte, jemanden im Schlaf zu ermorden. „Wie geht es Philippa?“, fragte er leise.
„Gut.“ Beldon sah sich um. „Morgen in der Kutsche erzähle ich dir mehr, aber jetzt nicht. Ich habe einen Brief von ihr dabei.“ Einer der Soldaten rief, sie sollten endlich den Mund halten, und Beldon hob entschuldigend die Hand. „Tut mir leid, dass wir Sie gestört haben.“ Aber sowohl er als auch Valerian wussten, dass sich das Ale ausgezahlt hatte. Normalerweise hätten sie nicht einmal diese wenigen Sätze wechseln dürfen. Die Ermahnung war nur der Form halber ausgesprochen worden.
Valerian deckte sich mit seinem Umhang zu, und seine Finger schlossen sich um das Heft des kleinen Messers. Die Szene erinnerte ihn an so viele unter unsicheren Umständen verbrachte Nächte auf dem Balkan – der einzige Unterschied war nur, dass er damals allein gewesen war. Valerian sah zu Beldon hinüber, der ein Schachspiel mit dem wachhabenden Soldaten begonnen hatte. Nicht im Traum hätte er damit gerechnet, dass Pendennys ihn in der Schankstube ausfindig machen würde. Seine Anwesenheit war auch ein gutes Zeichen dafür, dass Philippa die Anschuldigungen gegen ihn nicht ernst genommen hatte. Zum ersten Mal, seit Canton ihn abgeführt hatte, sah die Zukunft nicht mehr ganz so schwarz aus.
Philippas düstere Vorahnungen wollten jedoch nicht weichen. Die Fahrt nach Truro war ihr endlos erschienen, obwohl Lilya sich alle Mühe gegeben hatten, eine Unterhaltung in Gang zu halten, damit Philippa vorübergehend auf andere Gedanken kam.
Die hörte ihr allerdings nur mit halbem Ohr zu, alle ihre Gedanken kreisten um Valerian. War er in Sicherheit? War Beldon rechtzeitig zu ihm gestoßen? Auch um ihren Bruder machte sie sich Sorgen. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihn die Verfolgung aufnehmen zu lassen. Sie würde es sich niemals verzeihen können, wenn ihm etwas zustieße.
Aber Beldon war durchaus imstande, sich zu verteidigen. Er konnte gut boxen und mit dem Schwert umgehen. Zugleich fand sie es ziemlich bemerkenswert, dass sie es Lucien zutraute, einem anderen Menschen Schaden zuzufügen. Beldon war Valerian nachgeritten, weil er mit ihr übereingestimmt hatte, dass Canton womöglich Valerians Tod wünschte. Beldons Anwesenheit mochte das Schlimmste verhindern, wenigstens bis sie in London eintrafen. Philippa hoffte verzweifelt, bis dahin noch etwas anderes zu Valerians Schutz gefunden zu haben, einen Beweis für Luciens Schandtaten. Es würde allerdings nicht einfach werden. Rein theoretisch hatte Valerian Verrat verübt. Rein theoretisch hatte Lucien nichts Falsches getan. Wie sollte man ruchlose Motive beweisen?
Diese Frage beschäftigte sie den ganzen Nachmittag über, bis die Kutsche endlich vor einem vornehmen Gasthaus in Truro anhielt. Es war zu spät, noch an diesem Abend etwas zu unternehmen, aber gleich am kommenden Morgen wollten sie und Lilya Luciens Anwesen einen Besuch abstatten. Hoffentlich war sie den Bediensteten so vertraut, dass diese sie ohne Weiteres ins Haus ließen. Wenn nicht, war Philippa darauf vorbereitet, sich den Zutritt zu erzwingen.
Am Morgen zog sie ihr bestes Tageskleid an, während Lilya als ihre Zofe
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