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Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Titel: Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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noch möglich war, einen vernünftigen Satz herauszubringen.
    »Ich sollte besser gehen«, murmelte er und rieb sich die Augen.
    »Iss erst deine Brote auf«, beharrte Poppy.
    Folgsam nahm er noch ein belegtes Brot vom Teller. Während er aß, blätterte Poppy in ihrem Buch. Bis sie gefunden hatte, was sie suchte … die Beschreibung einer Wanderung durch die Landschaft, unter einem Himmel mit Schäfchenwolken, vorbei an blühenden Mandelbäumen und weißen Lichtnelken, die stille Bächlein säumten. Sie las in gleichmäßigem Ton und blickte von Zeit zu Zeit verstohlen zu Harry, der den ganzen Teller leer aß. Als er fertig war, ließ er sich tiefer in die Polster sinken, und er wirkte entspannter, als sie ihn je zuvor gesehen hatte.
    Sie las noch ein paar Seiten mehr über die Wanderung, die an Hecken und Wiesen entlangführte, durch einen Wald, der bedeckt war mit einem Teppich aus bunten Blättern, während die letzten matten Sonnenstrahlen einem leise prasselnden Regen wichen …
    Als sie am Ende des Kapitels angelangt war, blickte sie wieder zu Harry.
    Er war eingeschlafen.
    Seine Brust hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus, die langen Wimpern lagen wie ein Fächer auf seiner Haut. Die eine Hand ruhte mit der Handfläche nach unten auf seiner Brust, die andere lag halb geöffnet neben ihm.
    »Verfehlt seine Wirkung nie«, murmelte Poppy insgeheim lächelnd. Ihre Begabung, andere Menschen schläfrig zu machen, hatte sogar Harrys unermüdlichem Tatendrang den Garaus gemacht. Vorsichtig legte sie das Buch beiseite.
    Zum ersten Mal konnte sie Harry nach ihrem Belieben betrachten. Es war eigenartig, ihn so völlig schutzlos zu sehen. Im Schlaf waren seine Gesichtszüge entspannt, beinahe unschuldig, im Gegensatz zu seiner sonst so gebieterischen Miene. Und sein gewöhnlich harter, entschlossener Mund wirkte plötzlich samtig weich. Harry sah aus wie ein kleiner Junge, der sich in einem einsamen Traum verirrt hatte. Poppy verspürte den Drang, diesen Schlaf zu bewachen, den Harry so dringend nötig hatte, ihn mit einer Decke zuzudecken, ihm das Haar aus der Stirn zu streichen.
    Es vergingen einige ruhige Minuten, in denen nur das ferne Treiben im Hotel und auf der Straße gedämpft zu ihnen heraufdrang. Dass sie das genießen würde, damit hätte Poppy nicht gerechnet … Zeit, den Fremden zu betrachten, der von ihrem Leben Besitz ergriffen hatte, ohne jede Rücksicht auf Verluste.
    Harry Rutledge zu verstehen war wie einen seiner kniffligen Aufziehmechanismen auseinanderzunehmen. Man konnte jedes Zahnrad, jedes Sperrrad und jeden Hebel untersuchen, aber das hieß nicht, dass man jemals begreifen würde, wie das ganze Ding funktionierte.
    Es schien, als hätte Harry sein ganzes bisheriges Leben mit der Welt einen Ringkampf geführt und versucht sie sich ihm gefügig zu machen. Und mit diesem Ziel vor Augen war er schon recht weit gekommen. Dennoch war er offenbar unzufrieden und schien sich nicht recht über seine Erfolge freuen zu können, was ihn von den anderen Männern in Poppys Leben, insbesondere Cam und Merripen, deutlich unterschied.
    Aufgrund ihrer Roma-Abstammung war die Welt für die beiden Schwager nichts, das es zu erobern galt. Sie war vielmehr ein Raum, in dem sie ungehindert umherstreifen konnten. Und dann war da noch ihr Bruder Leo, der das Leben am liebsten von außen betrachtete, als objektiver Beobachter, anstatt selbst aktiv daran teilzunehmen.
    Harry war im Grunde ein Straßenräuber, der alles und jeden, der in Sichtweite auftauchte, trickreich zu erobern wusste. Wie konnte so ein Mann jemals gebändigt werden? Wie konnte er jemals Frieden finden?
    Poppy war so versunken in ihren Gedanken und der friedlichen Stille des Raumes, dass sie zusammenfuhr, als sie ein Klopfen an der Tür hörte. Sie spürte, wie sie sich verkrampfte. Sie antwortete nicht, in der Hoffnung, das verdammte Geräusch würde einfach wieder verschwinden. Aber da klopfte es wieder.
    Tock, tock, tock .
    Harry erwachte mit einem unverständlichen Murmeln. Er blinzelte verwirrt, als wüsste er einen Moment lang nicht, wo er sich befand. »Ja?«, antwortete er mit rauer Stimme und richtete sich mühsam auf.
    Die Tür ging auf, und Jake Valentine kam herein. Er senkte verlegen den Blick, als er Harry und Poppy gemeinsam auf dem Sofa sitzen sah. Poppy konnte nicht umhin, ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen, obwohl er ja im Grunde nur seine Arbeit tat. Valentine ging zu Harry, um ihm einen gefalteten Zettel zu

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