Zarias Geheimnis
schwach und müde an.
Ich beschloss, zurückzufliegen. In diesem Augenblick kam eine Elfe schnurstracks auf mich zugeflogen. Ich schnellte zur Seite, und wir verfehlten uns nur knapp.
Ich brauchte eine volle Sekunde, bis ich sie erkannte, und war sehr erleichtert, unter dem Unsichtbarkeitszauber zu stehen. Die Elfe hatte orangefarbene Flügel, gelbbraune Haare und trug ein schrecklich langweiliges Kleid. Es war Beryl Danburit.
Was machte sie hier?
Ich heftete mich an ihre Fersen und war überrascht, wie sehr ich mich anstrengen musste, um mit ihr mitzuhalten. Ich hatte gar nicht gewusst, wie schnell sie fliegen konnte.
Es gelang mir, den Unsichtbarkeitszauber im Flug zu erneuern. Ich wollte auf keinen Fall dabei erwischt werden, wie ich meinen Vormund durch eine heruntergekommene Gegend von Oberon-Stadt verfolgte.
Die Landschaft veränderte sich. Keine Kuppeln mehr, nur noch Schlackehaufen. Ein eigenartiger Duftlag in der Luft, den ich nicht kannte. Beryl flog immer tiefer und setzte schließlich zur Landung an.
Ihr Ziel erstaunte mich ein wenig, und ich landete ein wenig holprig. Meine Füße schlitterten über den Kies. Beryl wandte sich dem Geräusch zu und runzelte die Stirn. Sie lauschte, während ich völlig regungslos dastand.
Wir befanden uns vor einem einstöckigen Gebäude, das aus unbehauenen Steinen zusammengezimmert war. Der Mörtel war schlampig verstrichen und quoll aus den Mauerritzen hervor. Die Kupfertür war gänzlich unpoliert; ihre grün gefleckte Front hing schief in den verzogenen Angeln.
In etwa zehn Flügelspannweiten Entfernung schlängelte sich hinter dem Gebäude eine riesige Granitmauer über den Boden. Das musste die Grenze zu den Eisernen Landen sein. Ich schauderte und fragte mich, warum ich hatte hierher kommen wollen.
Das einzige andere sichtbare Gebäude lag etwa fünfzig Flügelspannweiten entfernt und war nicht mehr als ein Trümmerhaufen.
Beryl betrachtete das Schild vor uns: ZUM HÄSSLICHEN KRUG. Sie schürzte die Lippen. »Riecht nach der Erde«, murmelte sie angewidert.
Dann ging sie hinein.
Ich reagierte blitzschnell und stürzte ihr hinterher, bevor die Tür wieder zufiel.
Sobald ich über die Schwelle trat, verstärkte sich der Geruch, der mir bereits aufgefallen war. Ich hatte soetwas noch nie gerochen: ein schwerer, rauchiger Duft, samtig und stark. Er erfüllte die Luft, und als ich ihn einsog, hatte ich das Gefühl, man hätte mich in ein verbotenes Land katapultiert, ein Land, das mich einfangen und nie wieder gehen lassen wollte.
Ich stand hinter Beryl in einem langen, niedrigen Raum, schummrig, laut und mit Messingtischen gefüllt, an denen sich die Gäste eng aneinanderdrängten. Beryl ging weiter, aber ich blieb zurück, froh darüber, dass ich unsichtbar war.
Ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr, unverständliches Geschrei und heiseres Gelächter schwoll um mich herum an. Der Raum war gerammelt voll mit Elfen aller Farben. Ein paar kleine, stämmige Wesen wuselten ebenfalls in der Gaststube herum. Vorsichtig pirschte ich mich an Beryl heran, damit ich einen Blick auf sie werfen konnte. Eines dieser Wesen, das mir am nächsten stand, hatte einen Bart und eine lange Nase und trug große Stiefel mit aufwärtsgebogenen Spitzen. Dichte Augenbrauen, breiter Mund. In seinen Wurstfingern hielt es einen dampfenden Trinkbecher mit einer weißen Schaumkrone.
Ein Kobold? Was machte ein Kobold außerhalb der Eisernen Lande? Der Hässliche Krug war nicht weit von der Grenzmauer, aber nicht in den Eisernen Landen – nicht einmal annähernd. Und was trank er da? Als ich mich ein wenig umsah, bemerkte ich, dass alle an einem ähnlichen Getränk nippten.
Was machte Beryl hier?
Sie marschierte energisch an mehreren wackeligen Bronzetischen vorbei. »Banburus Lazuli?«, rief sie mit ihrer Dozentenstimme, um den Lärm zu durchdringen. »Banburus?«
Ein großer Elf erhob sich von einem der hinteren Tische und ging auf sie zu. In dem schummrigen Licht wirkte seine dunkelblaue Haut fast schwarz. Verfilzte und ungewaschene graublaue Haare umrahmten sein Gesicht und fielen ihm über knochige Schultern.
»Meistens spare ich mir die vielen Silben«, sagte er, als er in Hörweite kam. »Nenn mich Laz. Was willst du?«
Genau in diesem Augenblick sprang ein Kobold neben Beryl auf und zupfte sie mit seiner freien Hand am Ärmel. »Wann nimmt der Rat endlich den Kobold-Erlass zurück?«, rief er.
Beryl erstarrte. »Hände weg, wenn ich bitten darf.«
Er ließ nicht los.
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