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Zarias Geheimnis

Zarias Geheimnis

Titel: Zarias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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allein durch eine so trostlose Landschaft umherirrte? Und wie sollte ich Sam sagen, dass sein Vater verletzt war und sich nicht an ihn erinnern konnte?
    Zumindest war dieser Mann am Leben.
    Er hatte bestimmt schon lange nichts mehr gegessen. Und wenn ich gewusst hätte, wie ich ein Erdportal in seiner Nähe ausfindig machen konnte, hätte ich etwas menschliche Nahrung besorgen und sie ihm bringen können.
    Aber ich hatte keine Ahnung, wie man andere Portale fand. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie wenig Ahnung ich überhaupt hatte. Ich dachte an Meteor, der in der Bibliothek lernte. Ihm war von Anfang an klar gewesen, wie viel wir noch zu lernen hatten. Ich wünschte, ich könnte ihn jetzt um Hilfe bitten.
    Es pochte leise an der Kabinentür, doch ich wandte den Blick nicht von der Erde ab. Ich musste etwas für Michael Seabolt tun, aber was?
    Es gab Zauber, mit denen man einen Menschen Dinge vergessen ließ. Vielleicht konnte ich einen Zauber aussprechen, der einem Menschen half, sich wieder an Dinge zu erinnern.
    Warum hatte er überhaupt das Gedächtnis verloren? Wenn es an seiner Kopfwunde lag, würde ich ihm nicht helfen können. Es gab keine Zauber, mit denen man Wunden heilen konnte. Aber wenn etwas anderes seinen Gedächtnisverlust verursacht hatte?
    Je länger ich sein sonnenverbranntes Gesicht betrachtete, umso mehr hatte ich das Gefühl, nebenihm zu gehen. Ich konnte nahezu seine Schritte auf dem kargen Boden hören, nahezu die stille Nacht um ihn herum spüren. Ich nahm die Verwirrung seines Geistes und den Schmerz in seinem Herzen wahr.
    Er hatte etwas gesehen. Etwas Schreckliches. Vielleicht rührte sein Gedächtnisverlust nicht von seiner Kopfwunde her, sondern von etwas, das er gesehen hatte?
    Als meine Eltern und Jett verschwunden waren, war der Schmerz so groß gewesen, dass ich ihn tief in meinem Herzen vergraben und erst am Tag meines vierzehnten Geburtstags herausgelassen hatte. Jahrelang hatte ich mich geweigert, über meine Eltern und meinen Bruder zu reden, hatte einen Bogen um ihre Zimmer gemacht, sie zu verschwommenen Erinnerungen werden lassen, die ich selten heraufbeschwor, und nie versucht, sie zu finden.
    Vielleicht hatte Michael Seabolt seine schönen Erinnerungen zusammen mit der schrecklichen Erinnerung an das Ereignis, dessen er Zeuge geworden war, an einen Ort tief in seinem Innern verbannt.
    Ich musste versuchen, ihm zu helfen. An meinem Skop war ein Port, durch das man Menschenkindern Gaben schicken konnte. Ich könnte es benutzen, um Sams Vater einen Zauber zu schicken.
    Da ich nicht wusste, welche Stufe nötig war, saturierte ich meinen Zauberstab bis zur Spitze und steckte dann die schmale Spitze meines Stifts in den Sendeport.
    »Erinnere dich deiner«, sagte ich. »Erinnere dich an deine Familie.«
    Das Pochen an der Kabinentür schwoll zu lautem Klopfen an.
    Ich beugte mich weiter vor und sah, wie Sams Vater zu Boden fiel.
    Schnell zog ich meinen Zauberstab aus dem Port. Was hatte ich getan? Hatte ich ihm zu viel Magie geschickt?
    Das Klopfen verwandelte sich in ungeduldiges Hämmern. Auch wenn es mir schien, als könnte die Kabine jederzeit auseinanderbrechen, wandte ich mich nicht ab. Ich beobachtete, wie sich der rothaarige Mann langsam hinkniete. Er verschränkte die Hände und neigte den Kopf. Seine Lippen bewegten sich lautlos. Tränen standen ihm in den Augen, aber er lächelte.
    Ich drehte mich zur Tür. Eine kleine Gruppe Elfen drückte sich hinter Seth herum, der wild gegen das Glas schlug.
    Ich entriegelte schnell die Kabine. Der grünhäutige Wärter warf die Tür auf.
    »Wer bist du?«, fragte er. »Und wer hat dich geschickt?«
    Ohne nachzudenken, streckte ich meinen Stift aus, und Seth wich zurück.
    »Niemand hat mich geschickt«, erwiderte ich.
    Ich musste mich nicht durch die Menge zwängen, weil mir alle aus dem Weg gingen. Als ich auf den Ausgang zuglitt, sahen mir alle nach, als wäre ich Königin Velleron persönlich.
    »Aber wer bist du?«, rief mir Seth hinterher.
    »Niemand«, rief ich zurück und verließ eilig die Aussichtsstation.
    Bevor Seth oder sonst jemand wieder zur Besinnung kommen und mir folgen konnte, machte ich mich erneut unsichtbar. Dann erhob ich mich in die Lüfte und flog in geringer Höhe zur Goldenen Station.
    Ich wollte Sams Gesicht sehen, wenn ich ihm die frohe Botschaft brachte, dass ich seinen Vater gefunden hatte.
    Als ich durch das Maisfeld-Portal kam, atmete ich die kühle, dämmrige Erdenluft und den süßen Duft der

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