Zauber der Sonneninsel
Überlegungen gar nicht in den Sinn gekommen waren.
Das Gemurmel der Menge war inzwischen bedrohlich angeschwollen. Hoffentlich war heute Abend keiner von den radikalen Umweltschützern anwesend!
Die Hauptpersonen wurden mit Applaus und vereinzelten Zwischenrufen empfangen. Barry Lear machte einen ernsten, gespannten Eindruck. Hinter ihm erschien, wie üblich, Andres Peraza, gefolgt von einer Gruppe bekannter Wissenschaftler.
Tomás, der die Bühne als Letzter betrat, überragte die anderen um Haupteslänge. Petra fand ihn faszinierend in seinem dunklen Anzug. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Er wurde begleitet von einem silberhaarigen untersetzten Mann mittleren Alters, wahrscheinlich Alfonso Ramirez. Ihnen folgten einige andere, offiziell aussehende Leute, unter denen Petra den Sprecher von Proyecto Virgen erkannte, der schon mehrmals an ihren Versammlungen teilgenommen hatte.
Aus den hinteren Reihen kamen Zwischenrufe, aber Petra konnte im allgemeinen Lärm nichts verstehen.
Endlich erschien auch der Vertreter des Umweltministeriums, der höflich lächelte. Er wurde von einer jungen Frau, offenbar seiner Sekretärin, begleitet.
“Jetzt geht’s los”, flüsterte James.
Petra nickte. Sie hatte nur Augen für Tomás, doch abgesehen von einem kurzen Nicken zur Begrüßung nahm er keine Notiz von ihr. Aufmerksam lauschte er seinem Rechtsanwalt, der ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Der Tisch auf der Bühne war in V-Form aufgebaut. Tomás und seine Begleiter saßen auf der rechten, die Umweltschützer auf der linken Seite. In der Mitte hatte Leon Iglesias Platz genommen, der die Diskussion leitete. Er hatte Erfahrung als Diskussionsleiter. Auf seine Bitte hin wurde es sofort ruhig im Saal. Iglesias stellte Tomás, den Vertreter des Ministeriums und einige der Umweltschützer vor und eröffnete dann die Debatte. Zunächst sollten die Hauptpersonen Tomás Fragen stellen, danach die Zuschauer.
Zuerst wurde Barry Lear das Wort erteilt. In seinem furchtbaren Spanisch ließ er eine lange Anklagerede gegen Tomás vom Stapel. Leon Iglesias musste ihn schließlich ermahnen, seine Fragen zu stellen. Doch der Applaus zeigte, dass Barry zumindest von einem Teil der Zuschauer unterstützt wurde.
Als Tomás antwortete, wurde es totenstill in der Halle. Einen größeren Kontrast zu Barrys aufgeregtem Wortschwall hätte es nicht geben können. Seine klare, tiefe Stimme strahlte so viel Zuversicht aus, dass alle Nervosität von Petra abfiel. Punkt für Punkt widerlegte er Barrys Argumente, und Petra hatte das Gefühl, dass sich niemand im ganzen Saal seiner Aufrichtigkeit und Überzeugungskraft entziehen konnte.
Am Ende der Rede gab es tosenden Applaus, aber auch einige Buhrufe. Petra wandte sich ihrem Bruder zu und flüsterte aufgeregt: “Wie fandest du ihn?”
“Einfach großartig”, versicherte James. Mit einem Blick auf das gespannte, blasse Gesicht seiner Schwester fügte er hinzu: “Dir liegt viel an ihm, nicht wahr?”
Petra nickte nur und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Bühne zu. Tomás versicherte gerade in seiner ruhigen, kühlen Art, dass er alles tun würde, um die Vögel auf Sa Virgen zu schützen.
“Lügner!” rief jemand aus dem hinteren Teil der Halle.
“Ich bin kein Lügner”, erwiderte Tomás ruhig. “Wer mich kennt, der weiß, dass ich vieles bin, aber kein Lügner.”
Applaus und Gelächter folgten seinen Worten. Als Nächster stellte ein Wissenschaftler eine lange und komplizierte Frage, und der Vertreter des Umweltministeriums zeigte erste Anzeichen von Schläfrigkeit. Petra war froh, dass die Spannung in der Halle beträchtlich nachgelassen hatte.
“Er wird es schaffen”, sagte sie zu James, der ihr lächelnd zustimmte.
Während der nächsten Stunde sah es tatsächlich so aus, als würde Tomás als Sieger aus der Diskussion hervorgehen. Zusammen mit Alfonso Ramirez beantwortete er alle Fragen offen und ehrlich, und Petra hatte das Gefühl, dass die meisten der Anwesenden auf der Seite der beiden standen. Zwei der Wissenschaftler hatten schon ihre Überzeugung geäußert, dass der Natur auf Sa Virgen durch Tomás’ Pläne kein Schaden zugefügt würde.
Petra atmete auf. Auch wenn sie selbst schon lange davon überzeugt war, tat es doch gut, dass anerkannte Experten zustimmten. Sie wusste jetzt, dass die Pläne Sa Virgen nicht gefährden würden, und niemand, der diese Debatte verfolgt hatte, konnte anderer Ansicht sein.
Doch Barrys Miene blieb düster.
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