Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
Gideon, auch wenn er genau wusste, wen sie meinte.
»Lady Chester.« Tante Louisa kam die Treppe herunter ins Licht – die Göttin der Einmischung stieg vom Berg Bevormundung herab.
»Und woher, meine liebe Tante, kannst du das wissen?«
Tante Louisa blieb stehen. »Zugegeben, es ist eher eine Vermutung, aber keine unbegründete«, fügte sie rasch hinzu. »Sie war verheiratet und lebte während ihrer Witwenzeit auch nicht wie eine Nonne. Deshalb ist es nur logisch zu folgern, dass sie keine Kinder bekommen kann.«
»Das ist ganz und gar nicht logisch«, entgegnete Gideon gelassen. »Vielmehr basiert diese Schlussfolgerung auf purer Spekulation. Außerdem tut es wohl kaum etwas zur Sache. Ich beabsichtige nicht, Kinder mit Lady Chester zu bekommen.«
»Sie ist zu alt für dich«, sagte Tante Louisa streng.
Er lachte. »Sie ist zwei Jahre jünger als ich!«
»Das reicht nicht«, beharrte Tante Louisa kopfschüttelnd. »Du brauchst eine viel, viel jüngere Frau. Eine fügsame Frau, die dir bedingungslos gehorcht.«
»Ich dachte, dafür hätte ich Bedienstete.«
Sie ging nicht auf seinen Einwand ein. »Jemanden mit einer makellosen Reputation. Eine Frau, die sozusagen«, der Wirkung halber sprach sie das Wort besonders langsam aus, » unberührt ist.«
»Eine Jungfrau, die ich auf dem hohen Altar der Erhaltung unseres Familiennamens opfern kann, Tante Louisa?«
»Unsinn!«, entgegnete sie gereizt. »Eine Vermählung mit dir ist für keine Frau ein Opfer, ob nun Jungfrau oder nicht.«
»Nun, ich vermute, da gehen die Meinungen auseinander.«
Das Letzte, was er im Moment gebrauchen konnte, war eine Diskussion mit seiner Tante über seine zwingend notwendige Heirat. Sie würde ihn darauf hinweisen, dass er nicht jünger wurde. Er würde mit zahlreichen Beispielen von weit älteren Männern kontern, die Kinder zeugten. Alsdann würde sie ihm vorschlagen, die Liste junger Damen durchzugehen, die sie sorgfältig für ihn ausgewählt hatte. Selbige Liste änderte sich von Jahr zu Jahr, je nach Tante Louisas Launen und der Eignung der jungen Damen, die sie ins Auge fasste. Er würde sich für ihre Sorge bedanken und ihr seinerseits vorschlagen, sie solle lieber wieder mit ihren Freunden Karten spielen, sich wohltätiger Arbeit widmen und sein Privatleben, insbesondere seine Heiratspläne, verdammt noch mal seine Sache sein lassen.
Heute Nacht verspürte er nicht die geringste Lust, sich ausgerechnet mit diesem Thema zu befassen, doch offensichtlich hatte er keine Wahl. Tante Louisa konnte wie ein Terrier mit einem Knochen sein, wenn sie wollte. »Darf ich mich in meine Gemächer zurückziehen und süßen Schlummer genießen, oder bist du fest entschlossen, jetzt darüber zu sprechen?«
» Entschlossen ist solch ein hartes Wort! Sagen wir eher, ich wünsche darüber zu reden.«
»Ah ja, wünschen macht es ungleich leichter verdaulich.« Er stürzte den Rest seines Drinks hinunter und begann, Richtung Bibliothek zu gehen. »Also gut dann. Aber wenn ich schon gezwungen bin, etwas zu diskutieren, dass ich im Moment nicht besprechen will, möchte ich es gern mit einem weiteren Brandy herunterspülen.«
Sie kam hinter ihm her. »Du trinkst entschieden zu viel.«
»Und du kritisierst mich entschieden zu viel.«
Auf dem Schreibtisch in der Mitte der kleinen Bibliothek brannte eine Lampe, neben der eine Karaffe und ein sauberes Glas standen. Gewiss hatte Wells das Licht brennen lassen und den Brandy bereitgestellt, als er bemerkte, dass Tante Louisa plante, Gideon bei seiner Rückkehr aufzulauern. Wahrscheinlich hielt sich der Butler selbst jetzt noch in der Nähe auf, um notfalls zu Gideons Rettung herbeizueilen, auch wenn Tante Louisa es vorzöge, keine Zeugen zu haben. Gideon schenkte sich nach und sah seine Tante an. »Also? Fahr fort.«
Tante Louisa straffte die Schultern und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Gideon, ich halte es für das Beste, wenn du deine Aufmerksamkeit nicht länger Lady Chester widmest.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das überrascht! Verrate mir doch, abgesehen von der Tatsache, dass sie deiner Ansicht nach zu alt, zu kinderlos und zu sozusagen berührt ist, warum ich das tun sollte?« Er nahm einen Schluck Brandy. »Hast du bedacht, dass sie außerdem zu hübsch, zu charmant und bei weitem zu klug ist?«
»Tatsächlich habe ich es bedacht.« Sie trat an den Schreibtisch, schenkte sich einen Brandy ein und trank einen großen Schluck. Tante Louisa bewies eine
Weitere Kostenlose Bücher