Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
Er hatte sie noch einmal ins Theater ausgeführt. Sie war mit ihm im Park ausgeritten. Gemeinsam waren sie durch zahlreiche Museen gestreift und hatten sich Kunstwerke angesehen. Auch da waren sie sich nicht immer einig gewesen, und auch da hatten sich ihre hitzigen Wortgefechte als überaus unterhaltsam und anregend erwiesen. Er hatte sie zu einem weiteren, endlosen Abend bei Susanna begleitet, bei dem ihre Gastgeberin ein wenig verstimmt schien, was Susanna überhaupt nicht ähnlich sah. Andererseits wusste Judith ja bereits, dass ihre Freundin von Anfang an nicht mit ihrer Beziehung einverstanden gewesen war. Wann immer Gideon nicht buchstäblich in ihr war, geisterte er ihr zuverlässig durch den Kopf. Und an den seltenen Abenden, die er nicht in ihrem Bett verbrachte, tauchte er in ihren Träumen auf, so dass sie jeden Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen aufwachte. Kurzum: Judiths Leben war noch nie so ausgefüllt gewesen. Oder so leidenschaftlich.
Die Kutsche hielt an. Gideon stieg aus und half Judith heraus.
»Da wären wir«, sagte er hochzufrieden. Er trat beiseite, und Judith fand sich einem sehr vertrauten breiten Treppenaufgang gegenüber.
»O mein Gott!« Sie verzog schmerzlich das Gesicht.
»Es ist die London Horticultural Society«, verkündete Gideon stolz. »Heute Abend gibt es einen Vortrag über die Entdeckung neuer Orchideenarten in Südamerika, der von dem Expeditionsleiter höchstpersönlich gehalten wird.«
»Ach, was du nicht sagst.« Sie bemühte sich, begeistert zu klingen. »Wie überaus interessant.«
»Ich dachte, du würdest...« Er sah sie fragend an. »Wusstest du schon davon?«
»Es tut mir leid, Gideon, aber selbstverständlich wusste ich davon. Ich fasse nicht, dass ich es vollkommen vergessen hatte!«
»Ich vermute, du bist ein Mitglied der Gesellschaft, stimmt‘s?« So, wie er der Frage stellte, schien er die Antwort bereits zu ahnen.
»Ja, seit Jahren«, bestätigte sie entschuldigend.
Er seufzte enttäuscht, nahm ihren Arm und führte sie die Treppe hinauf. »Teufel noch mal, du bist eine unglaublich schwer zu überraschende Frau.«
»Spanien wäre eine Überraschung gewesen«, murmelte sie.
»Ich dachte, diese wäre perfekt.«
»Nun, ich bin auch überrascht, da ich diesen Vortrag ganz vergessen hatte.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
»Du hättest ruhig so tun können«, raunte er.
»Wir hatten uns darauf geeinigt, ehrlich zueinander zu sein.«
Er stieß einen verächtlichen Laut aus. »Nein, wir hatten uns auf ein gewisses Maß an Ehrlichkeit geeinigt, daran erinnere ich mich genau. Du sagtest, zu viel Ehrlichkeit würde den Spaß verderben.« Mit einem etwas beleidigten Lächeln fügte er hinzu: »Ich schätze, wenn ich versuche, Orte zu meiden, die du bereits aufsuchen wolltest, oder dir Pflanzen zu schenken, die dir bereits gehören, könnte mir leichter eine Überraschung gelingen.«
Judith verkniff sich ein Grinsen und schlug einen ernsten Ton an: »Ich war sehr überrascht von der Orchidee.«
»Das warst du zweifellos«, sagte er lachend. »Ich bemühe mich, es nächstes Mal besser zu machen.«
»Überraschung hin oder her, die Idee war reizend, und das weiß ich durchaus zu würdigen. Ich bin entzückt, dass du überhaupt auf den Gedanken gekommen bist, mich heute hierher zu begleiten, weiß ich doch, dass deine Leidenschaft für exotische Pflanzen nicht so groß ist wie meine.«
»Ich hege gar keine Leidenschaft für exotische Pflanzen.«
»Eben.« Sie sah ihn eine Weile schweigend an. »Solche Vorträge sind, und nur wenn sie gut sind, äußerst trocken. Für jemanden, der sich gar nicht für das Thema interessiert, können sie tödlich langweilig sein.«
»Ich gehe nicht davon aus, auch nur im Mindesten gelangweilt zu sein«, erwiderte er gelassen. »Ich bin ja mit dir zusammen.«
Bei seinen Worten wurde ihr wunderbar warm. »Was für ein charmanter Teufel Mylord doch sind!«
»Ich weiß.«
»Anschließend gibt es noch einen Empfang«, sagte sie so verführerisch wie möglich.
»Ich liebe warme Limonade und verstaubtes Gebäck«, erklärte er und sah sie an. »Beides nehme ich für dich selbstverständlich gerne in Kauf.«
»Zweifelsohne ein fairer Preis dafür, dass du ein charmanter Teufel bist.«
»Zweifelsohne«, bestätigte er leise.
Wie von unsichtbarer Hand öffneten sich die Flügeltüren vor ihnen. Judith blickte zu Gideon. Es verwunderte sie, dass er bereit war, einen ganzen Abend lang etwas zu tun, für das
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