Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
gemocht zu werden.«
»Trotzdem unterstützt du sie«, sagte er nachdenklich.
»Ihr Bruder traf keinerlei Vorkehrungen für sie für den Fall, dass er sterben sollte. Sie hatte kein Erbe, keine Heiratsaussichten und kein eigenes Vermögen.« Judith sah ihrer Schwägerin nach. »Ich hätte sie dessen ungeachtet unterstützt.«
»Dessen ungeachtet?«
Judith zögerte. »Ungeachtet ihrer Antipathie für mich.«
»Die Art, wie sie von ihrem Bruder spricht...« Er wusste sehr wohl, dass Judith nicht über ihren verstorbenen Gatten oder ihre Ehe reden wollte, aber hier bot sich die Gelegenheit, etwas zu erfahren, und er wollte sie nicht ungenutzt lassen. »Sie scheint sehr beschützend.« Oder besitzergreifend. »War sie älter als er?«
»Schlimmer.« Judith sah ihn an. »Sie ist seine Zwillingsschwester.«
»Das erklärt einiges.«
»Mehr als du denkst«, sagte Judith leise. Sie atmete tief durch und lächelte ihn an. Ein Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass dieses Thema nun beendet war. »Ein Forscher?«
»Ich war sehr jung. Verwende es bitte nicht gegen mich.«
»Ich verwende es ganz und gar nicht gegen dich! Ich finde es sogar recht erhellend.« Sie beugte sich zu ihm vor und senkte die Stimme. »Mit ein bisschen Glück können wir den Forscher wiederentdecken, der du als Kind sein wolltest.«
»Das wäre ein Abenteuer«, flüsterte er. »So gelang es mir heute Abend also doch noch, dir wenigstens eine Überraschung zu bereiten.«
Sie sah ihn an, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Vielleicht kann ich dir später am Abend auch noch eine Überraschung bieten.«
»Ich hatte noch nie viel für Überraschungen übrig, aber«, er lachte leise, »ich bin bereit, mich für alles offen zu halten.«
Bei aller Unbekümmertheit und allen Vergnügungen, die sie für später am Abend im Sinn hatte, war Judith während der Heimfahrt zu ihr doch verdächtig schweigsam. Gideon beschloss, dass es das Beste war, sie ihren Gedanken zu überlassen. Außerdem hatte sie wahrscheinlich schon mehr gesagt, als sie beabsichtigte. Und auch er hatte einiges, worüber er in Ruhe nachdenken wollte.
Bisher war es ein Abend voller Überraschungen gewesen, die ganz anders ausgefallen waren, als er es geplant hatte. Im Grunde genommen war er derjenige gewesen, der überrascht wurde. Er hatte gewusst, dass es eine Schwägerin gab, nur entsprach Alexandra Chester nicht im Entferntesten dem, was er sich unter Judiths Schwägerin vorgestellt hatte. Er war sich nicht sicher, ob er jemals offenen Hass gesehen hatte, aber was er in Miss Chesters Augen aufblitzen sah, als sie Judith anblickte, war zweifellos Hass gewesen. Die Frau war eindeutig gefährlich, und Gideon schwor, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um Judith vor ihr zu beschützen.
Miss Chester war auf jeden Fall eine Überraschung, nicht größer allerdings als die von Judiths ungeheurem Fachwissen. Allein die Größe ihres Wintergartens legte natürlich nahe, dass sie keine Dilettantin war, die sich im Ziehen hübscher Blumen erging. Dennoch waren das Ausmaß ihrer Fachkenntnis und vor allem der Respekt, den andere ihr heute Abend bekundet hatten, nicht bloß eine Überraschung, sondern vielmehr ein Schock gewesen. Er hatte sie maßlos und unverzeihlich unterschätzt. Ein geringerer Mann, möglicherweise ein weniger arroganter Mann, wäre beschämt von Judiths Intellekt und ihrer Stellung innerhalb der erlesenen Gesellschaft, die er heute Abend erlebte. Gideon war indes nicht im Mindesten beschämt. Vielmehr war er stolz. Stolz, mit ihr gesehen zu werden, stolz, sie an seinem Arm zu führen, solange es auch andauern mochte. Und ihm fiel erneut auf, dass er sich wünschte, es würde sehr lang andauern.
Das war die größte Überraschung von allen.
Achtes Kapitel
»Ich sagte doch, ich würde dich besuchen kommen.« Judith faltete die Hände auf ihrem Schreibtisch und verdrängte den unbändigen Wunsch zu schreien, der sie verlässlich überkam, wenn Alexandra erschien. »Es war nicht nötig, dass du mich aufsuchst.«
»Ach, aber ich komme gern zu dir, liebe Schwester.« Alexandra ging ziellos in Judiths Bibliothek herum, schaute sich hier ein Buch an, dort ein Gemälde. »Dieses Haus ist eine angenehme Abwechslung zu meinem. Man kommt sich darin so sehr anständig vor. Ich begreife jetzt, warum du diese Umgebung vorziehst. Außerdem tat ich dir einen Gefallen.« Alexandra sah zu Judith. »Du kommst doch so ungern nach Chester House.«
Judith zögerte, dann
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