Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
seufzte sie. »Ja, tue ich.« »Selbst deine obligatorischen vorweihnachtlichen Besuche fallen dir schwer.«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Judith betont munter. »Das ist schließlich dein Geburtstag, und es macht mir überhaupt nichts aus, dich dann zu besuchen.«
»Es ist auch sein Geburtstag, und du hasst es.« Alexandra wandte sich wieder den Büchern zu und suchte die Regale ab. »Ich vermute, das war nicht anders zu erwarten. Das Haus birgt furchtbare Erinnerungen für dich.«
»Es birgt auch einige wundervolle Erinnerungen«, sagte Judith bestimmt. »Aber dies ist mein Zuhause, und hier habe ich mir ausgesucht zu leben.«
Nach Lucians Tod war Judith in das Haus zurückgezogen, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten. Sie wollte Chester House an Alexandra überschreiben, aber die Anwälte seiner Familie rieten ihr dringend davon ab. Ihren Worten nach schien der einzige Weg, Alexandras Erbe zu bewahren, der, sie nicht in dessen Besitz gelangen zu lassen. Das Ganze hatte mit obskuren, unverbrüchlichen Klauseln im Testament von Lucians Vater zu tun. Offensichtlich hatte er seine Tochter für unfähig gehalten, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, und deshalb mit einem überaus komplizierten Letzten Willen dafür gesorgt, dass sie es niemals müsste. Er hatte sein gesamtes Vermögen Lucian hinterlassen, mit der Maßgabe, dass Lucian seiner Schwester eine angemessene Mitgift zuteilte, falls nötig. Leider überschätzte er dabei Lucians Gespür in finanziellen Dingen. Baron Chester starb, als die Zwillinge kaum neunzehn Jahre alt waren. Seine Anwälte zwangen Lucian, ein Testament zu verfassen, falls er heiraten sollte, doch der interessierte sich nicht für derlei Details und wies sie an, alles seiner künftigen Gattin zu vermachen; er würde sich später um die Zukunft seiner Schwester kümmern. Dazu kam es nicht mehr. Lucian hatte nicht damit gerechnet, im Alter von vierundzwanzig Jahre zu sterben.
Judith erhielt Chester House mit dem Vermögen, das sie von ihrem Ehemann erbte. Ihre eigenen, vertrauenswürdigen Anwälte, die schon ihren Eltern gedient hatten, sorgten für die Gehälter der Bediensteten, die Instandhaltung des Gebäudes und die laufende Versorgung Alexandras mit standesgemäßen Begleitern. Darüber hinaus erhielt Alexandra eine monatliche Zuwendung, die laut Judiths Beratern viel zu großzügig war. Judith ihrerseits fand, dass das Chester-Vermögen auf das letzte Mitglied dieser Familie gut verwandt war. Sie jedenfalls brauchte das Geld gewiss nicht. Ihre Eltern hatten ihr ein sehr ansehnliches Erbe vermacht. Mindestens einmal jährlich drängte man sie, Chester House zum Verkauf und das Vermögen in einen Treuhandfonds zu übergeben, so dass sie von allem frei war, aber sie weigerte sich, das zu tun. Dass sie alles verwaltete, stellte so etwas wie eine Buße dar, und für sie war das das Mindeste, was sie tun konnte.
»Ich erwäge, aus Chester House auszuziehen«, sagte Alexandra beiläufig.
»Ach ja?« Judith ignorierte die Erleichterung, die sie bei dieser Bemerkung überkam.
»Ich trage mich mit dem Gedanken, Nigel Howard zu heiraten, und dann würde ich natürlich bei ihm wohnen.«
Judith schüttelte den Kopf. »Mr Howard ist mir nicht bekannt.«
»Er ist ein Poet. Ein recht guter sogar. Seine Brillanz ist bisher noch unentdeckt, aber das wird sich bald ändern.« Alexandra verstummte kurz. »Obwohl ich beinahe glaube, er würde lieber bei mir wohnen. Wir könnten in Chester House sehr glücklich sein.«
»Kann Mr Howard denn eine Ehefrau unterhalten?«
»Das denke ich nicht, aber ich kann ihn unterhalten«, antwortete Alexandra leichthin. »Vielmehr du kannst, aber das ist unerheblich, würde ich sagen.«
»Es ist nicht unerheblich, wenn ihr heiratet«, erwiderte Judith ruhig.
»Dann heirate ich ihn eben nicht«, sagte Alexandra schnippisch. »Ich behalte ihn einfach so lange in meinem Bett, bis ich genug von ihm habe, und werfe ihn anschließend weg wie eine ausgelesene Zeitung. Oder ich sperre ihn aus meinen Gemächern aus und weigere mich, noch irgendetwas mit ihm zu tun zu haben. Hältst du es nicht gewöhnlich so mit den Männern, die du nicht mehr willst?«
Judith biss die Zähne zusammen. »Was willst du, Alexandra? Warum bist du hier?«
Alexandra machte große Augen. »Aber, aber, Judith! Du solltest deiner einzigen lebenden Verwandten gegenüber nicht grob werden. Wir haben doch nur noch einander.«
»Ja, haben wir«, bestätigte Judith seufzend. »Wie kann
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