Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
könnten wir ein oder zwei Worte über die Qualität des Champagners oder die verbrauchte Luft im Raum wechseln. Darüber hinaus wüsste ich nicht, worüber Sie und ich uns unterhalten sollten. Wenn Sie mich dann also bitte entschuldigen wollen.«
»Natürlich.« Der Blick in ihren Augen strafte ihr liebliches Lächeln Lügen. »Aber dieses Gespräch ist noch nicht beendet, Gideon.«
»Im Gegenteil, Lady Braxton. Jedweder Austausch zwischen uns endete vor neun Jahren.« Er nickte ihr höflich zu, drehte sich um und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.
Tatsächlich beäugten ihn einige Leute recht interessiert. Und sie. Dennoch bezweifelte er nicht, dass alle, die sie beobachtet hatten, nichts Bemerkenswertes gesehen hatten. Violet hatte allerdings recht. Ihre Begegnung wäre Anlass von Gerüchten gewesen, hätte einer von ihnen anders als aufgesetzt höflich reagiert. Verdammt, er musste hier raus! Auf jeden Fall brauchte er frische Luft und einige Minuten, um sich wieder zu sammeln.
Zu behaupten, das unerwartete Wiedersehen mit Violet hätte ihn überrascht, wäre schamlos untertrieben. Vielmehr hatte es ihn so über die Maßen schockiert, dass er sich in einen stammelnden Idioten verwandelte – nun ja, beinahe. Alles in allem war es wohl, wie er vermutete, so glimpflich verlaufen, wie man es nur hoffen konnte. Jedenfalls angesichts des Umstandes, dass er nie im Leben damit gerechnet hätte, sie hier zu treffen. Im Laufe der Jahre hatte er sich wieder und wieder ausgemalt, wie eine Begegnung zwischen ihnen verlaufen würde. Das letzte Mal, dass er sich in Gedanken zurechtlegte, was er sagen würde, war jedoch zugegebenermaßen schon lange her. Sie heute wiederzusehen war ein Schock, selbstverständlich, und im Moment wusste er auch noch nicht so recht, wie er darüber dachte. Oder, besser: Wie er über sie dachte. Ihr Erscheinen löste alle erdenklichen Gefühle aus, die er längst vergessen und vergraben glaubte. Das heißt, nein, eigentlich keine Gefühle, aber eindeutig Verwirrung. Womit sich die Frage stellte, warum? Ganz sicher empfand er nichts mehr für sie. Im Grunde sollte er an diesem Punkt in seinem Leben nichts, überhaupt nichts empfinden, was sie betraf, erst recht keine Verwirrung.
Er schlenderte am Rand des Ballsaals entlang, bis er eine Seitentür fand, trat hinaus in den Korridor und fand sich Judith gegenüber.
»Gideon!« Sie riss überrascht die Augen auf. »Ich wollte gerade...«
Ohne nachzudenken, packte er sie bei den Schultern, zog sie an sich und küsste sie lange und ausgiebig. Es war eine gänzlich spontane Handlung, noch dazu keine sonderlich kluge, vor allem nicht für einen Mann, der eben erst einer Situation entkommen war, die nichts als Gerede provozierte. Trotzdem war der Kuss, war Judith genau das, was er brauchte.
»Herr im Himmel!«, stöhnte es hinter Judith.
Er ließ sie sofort los und trat zurück. Judith starrte ihn sprachlos an.
»Sind Sie von Sinnen? Besitzen Sie denn kein bisschen Taktgefühl?«, fragte Lady Dinsmore ihn wütend. »Sie können doch nicht herumlaufen, und Leute auf Korridoren küssen, wie es Ihnen gefällt! Schon gar nicht, wenn Sie nicht wissen, ob Sie allein sind oder von jemandem gesehen werden. Himmel, hier hätte eine Menschentraube hinter Judith stehen können, statt nur ich allein. Zum Glück bin ich außerordentlich diskret.«
»Sie haben recht«, sagte Gideon zerknirscht. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich bitte inständig um Verzeihung für mein unangebrachtes Benehmen, ich danke Ihnen vielmals für Ihre Diskretion und bedaure es zutiefst, falls ich Sie durch mein Betragen in Verlegenheit gebracht habe.«
»Mir gefiel es recht gut«, murmelte Judith.
»Nun, ich gebe zu, es sah nicht unangenehm aus«, sagte Lady Dinsmore schmollend. »Sei‘s drum, Judith hat sich all die Jahre größte Mühe gegeben, sehr sorgsam auf ihren Ruf zu achten, wenn es um ihre Abenteuer ging.«
Judith war entsetzt. »Susanna!«
Aber Lady Dinsmore ignorierte sie. »Nicht dass dieses hier auch nur annähernd wie ihre anderen drei ist. Schließlich geht es schon weit länger als irgendeines zuvor, und Sie verbringen weit mehr Zeit in ihrem B...«
»Susanna!«, rief Judith. »Es reicht!«
Lady Dinsmore erschrak und schlug sich die Hand vor den Mund. »Gott steh mir bei! Ich glaube nicht, dass ich das gerade gesagt habe. Judith...«
»Vielleicht ist es das Beste, wenn wir dieses Gespräch mit einer allseitigen Entschuldigung beenden«,
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