Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Mitarbeiter aus ihrer Sonntagsruhe zum Sondereinsatz zu beordern.
Bevor der Polizeipräsident zu seiner Ansprache erschienen war, hatte Merana die
anderen schon kurz über sein Gespräch mit Robert Neuenberg informiert. Die ersten
dringlichen Ermittlungsschritte waren allen klar. Es galt, den Hergang des Todesfalles
möglichst exakt zu rekonstruieren, Zeugen zu befragen, Bewegungsprofile zu erstellen.
Wer war gestern wann an welchem Platz hinter der Bühne, auf den Gängen, in den Garderoben?
Wer hatte was mitbekommen? Eine wahre Sisyphusarbeit. Zunächst mussten die Personen
erst einmal aufgetrieben werden. Das waren Hunderte: Orchestermusiker, Solisten,
die vielen Sänger aus dem Chor, Techniker, Bühnenarbeiter, Garderobenfrauen. Merana
graute bei dem Gedanken. »Konzentriert euch zunächst darauf, herauszufinden, ob
Personen hinter der Bühne waren, die normalerweise dort nichts zu tun haben. Lasst
auch fragen, ob jemandem eine rothaarige Frau aufgefallen ist. Die Tierschützerin
muss schon lange vor ihrem Auftritt im Haus gewesen sein.« Gleichzeitig würden sie
so schnell wie möglich das persönliche Umfeld der Sängerin überprüfen. Die zentrale
Frage war: Wie kam das Gift in ihren Körper? Vielleicht hatte sie es doch selbst
genommen?
»Wie kommt
man an Phenobarbital? Ist das schwer zu besorgen?« Er schaute zum Chef der Spurensicherung.
»Nein, Martin.
Man erhält es zum Beispiel übers Internet. Früher war Phenobarbital ein gängiges
Arzneimittel, wird aber in der Regel heute nicht mehr verschrieben. Es gehört zu
den Substanzen, bei denen man sehr genau auf die Dosierung achten muss. Eine bestimmte
Menge ist noch okay, die doppelte oder dreifache kann schon gefährlich sein. Aber
es ist nach wie vor leicht zu bekommen. Es wird oft bei Fällen von Sterbehilfe eingesetzt.
Auch in den immer stärker grassierenden Selbstmord-Foren im Internet wird den Suizidwilligen
gerne Phenobarbital empfohlen. Der Stoff ermöglicht ein sanftes Hinübergleiten,
ohne große Begleiterscheinungen. Es treten nur, je nach Körpergewicht und Konstitution,
nach etwa einer halben Stunde Schwächeanfälle auf. Man bekommt Schwindelgefühle,
wird müde und schläft schließlich ein.« Merana kannte diese angesprochenen Webseiten
zur Genüge. Selbstmord-Chats. Anleitung zum Freitod. Kinder der Nacht. Sie hatten immer wieder in Fällen mit Jugendlichen damit zu tun. Er dachte kurz
darüber nach, was der Chef der Spurensicherung über die Wirkungszeit gesagt hatte.
»Wenn die
Wirkung schon nach einer halben Stunde einsetzt, dann kann die Todorova das Mittel
nicht vor der Vorstellung eingenommen haben, da wäre die Zeitspanne zu lang. Es
muss in der Pause passiert sein.«
Thomas Brunner
nickte. »Ja, anders ist es schwer vorstellbar. Und die Menge war deutlich übertherapeutisch.
Sie hätte in weiterer Folge auch ohne den Sturz wohl zum Tode geführt.«
»Wissen
wir schon, wie sie es zu sich genommen hat?«
Thomas Brunner
kontrollierte seine Aufzeichnungen. »Eindeutig oral. Wir vermuten, zusammen mit
einem Getränk. Richards Analysten haben eine genügend große Menge Johannisbeersaft
im Magen der Toten gefunden.«
»Verändert
Phenobarbital den Geschmack eines Getränkes?«
»Kaum. Bei
einem süßen Fruchtsaft ist es so gut wie nicht wahrnehmbar.«
Für kurze
Zeit herrschte Stille im Raum. Jeder der Anwesenden stellte sich vor, was in der
Pause hinter der Bühne, im Bereich der Künstlergarderoben, passiert sein könnte.
»Schließen wir Selbstmord von vorneherein aus?« Otmar Braunberger hatte die Frage
ausgesprochen, obwohl er die Antwort ohnehin kannte. »Nein«, bestätigte Merana.
»Wir schließen wie immer gar nichts aus.«
»Was ist
mit den Tierschützern?« Die Frage kam von Carola.
»Darum kümmere
ich mich selbst.« Der Artikel aus dem Boulevardblatt von heute Morgen fiel ihm ein,
in dem der Verfasser spekulierte, ob die beiden Vorfälle in Verbindung standen.
Merana erhob sich. Das war für alle das Zeichen zum Aufbruch. »Was hat unser hoch
verehrter Chef heute wieder für eine Floskel aus seinem Zitatenköcher gezogen?«
fragte Thomas Brunner. »Wie war das? Erfolg ist wie ein scheues Reh? Und dann irgendetwas
von ›Wind‹ und ›Witterung‹? Habt ihr das schon einmal von ihm gehört?«
Merana schüttelte
den Kopf. »Klingt nach Eichendorff oder einem anderen dieser Romantiker«, ließ sich
die Chefinspektorin vernehmen. »Heinrich Heine vielleicht.«
»Franz Beckenbauer.«
Sie hielten alle kurz inne,
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