Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
erklärte er: »Und das Geschöpf weiß auch, dass wir wissen, dass es uns beobachtet. Aus diesem Grund schlage ich vor, dass du es ignorierst, wie ich es tue, und deine Dünen zu Ende absuchst. Hast du irgendetwas Bemerkenswertes gefunden?«
»Ein paar Sachen«, gab Gankis wenig erfreut zu. Kennit richtete sich auf und wartete. Der alte Seemann wühlte in den geräumigen Taschen seines abgetragenen Mantels. »Dies hier«, meinte er und zog einen buntbemalten Gegenstand aus der Tasche. Es waren Scheiben und Stöcke, und die Scheiben hatten runde Löcher in der Mitte.
Kennit verstand es nicht. »Das muss irgendein Kinderspielzeug sein«, erklärte er. Er sah Gankis fragend an und wartete.
»Und das hier«, sagte der Seemann. Er beförderte einen Rosenzweig aus der Tasche. Kennit nahm ihn vorsichtig entgegen und achtete dabei auf die Dornen. Bis er ihn berührte, hatte er den Zweig für echt gehalten. Dann merkte er, dass der Stengel steif und unnachgiebig war. Er wog ihn in der Hand. Der Zweig war so leicht wie eine echte Rose. Er drehte ihn um und versuchte herauszufinden, aus welchem Material er gemacht war. Er kam zu dem Schluss, dass er so etwas noch nie zuvor gesehen hatte. Noch rätselhafter als ihre Struktur war der Duft der Rose. Sie roch so intensiv und würzig, als wäre es eine voll erblühte Blume aus einem Sommergarten. Kennit sah Gankis abschätzend an, während er die Rose an seinem Revers befestigte. Die Drahtdornen hielten sie fest. Kennit sah, wie Gankis die Lippen zusammenpresste, aber der alte Seemann wagte nicht zu widersprechen.
Kennit blickte zur Sonne hoch und dann auf das Wasser, das sich allmählich zurückzog. Für den Marsch auf die andere Seite der Insel würden sie mehr als eine Stunde brauchen. Er konnte nicht mehr länger bleiben, ohne zu riskieren, dass sein Schiff auf den Felsen zerschellte, die sich jetzt aus dem zurückströmenden Wasser erhoben. Ihn überkam einer dieser seltenen Momente der Unentschlossenheit, und seine Miene umwölkte sich. Er war nicht nur wegen der Beute zum Strand der Schätze gekommen, sondern auch, weil er das Orakel der Anderen suchte. Er vertraute darauf, dass es zu ihm sprach. Hatte er nicht deshalb Gankis als Zeugen mitgenommen? Gankis war einer der Männer an Bord, die ihre eigenen Abenteuer nicht automatisch ausschmückten. Er wusste, dass nicht nur seine eigenen Leute, sondern auch jeder Pirat in Divvytown Gankis Bericht als bare Münze nehmen würde. Außerdem… wenn der Spruch, dessen Zeuge Gankis wurde, Kennits Zwecken nicht diente, konnte er den alten Matrosen leicht töten.
Erneut überlegte er, wieviel Zeit ihm noch blieb. Ein umsichtiger Mann hätte jetzt die Suche abgebrochen, sich dem Anderen gestellt und wäre dann zu seinem Schiff zurückgeeilt.
Kluge Männer vertrauten nie auf ihr Glück. Aber Kennit war schon lange zu dem Schluss gekommen, dass man seinem Glück vertrauen musste, damit es wuchs. Es war eine persönliche Überzeugung, eine, die er mit jemandem zu teilen keinen Grund sah. Er hatte niemals einen nennenswerten Triumph erlebt, ohne zuvor ein Risiko eingegangen zu sein und seinem Glück vertraut zu haben. Vielleicht würde sein Glück ihn ja an dem Tag, an dem er klug und vorsichtig wurde, beleidigt verlassen. Er schnitt eine Grimasse, weil eben dieses Risiko das einzige war, das er niemals eingehen würde. Er würde niemals dem Glück vertrauen, dass sein Glück ihn niemals verlassen würde.
Dieser logische Haken gefiel ihm. Er schlenderte weiter die Wasserlinie entlang. Als er sich den spitzen Felsen näherte, die das Ende des sichelförmigen Strandes markierten, spürte er prickelnd mit allen Sinnen die Anwesenheit des Anderen. Sein Geruch war verlockend süß, schlug jedoch unvermittelt um und wurde ranzig und faulig, wenn der Wind den Duft stärker heranbrachte. Der Gestank wurde so stark, dass es ihn würgte.
Aber es war nicht nur der Duft der Kreatur. Kennit konnte es auch auf der Haut fühlen. Seine Ohren rauschten, und er spürte seinen Atem als Druck auf seine Augen und auf der Haut an seinem Hals. Er glaubte nicht, dass er schwitzte, und dennoch war seine Gesichtshaut plötzlich mit einem fettigen Film überzogen, als habe der Wind eine Substanz von dem Anderen abgezogen und sie gegen ihn geschleudert. Kennit kämpfte gegen den Widerwillen an, der schon beinahe an Ekel grenzte. Aber er weigerte sich, diese Schwäche zuzugeben.
Stattdessen richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und glättete
Weitere Kostenlose Bücher