Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
dafür. Und mehr noch: Mit dem Wissen, über das ich verfüge, sehne ich mich noch mehr danach, die letzte zu erwecken und zu befreien, die übrig ist. Das heißt keineswegs, dass ich unter ihre Herrschaft geraten bin. Es bedeutet nur, dass ich endlich begriffen habe, was richtig ist.«
»Richtig ist, loyal den deinen gegenüber zu bleiben«, fuhr seine Mutter ihn verärgert an. »Reyn, das eine sage ich dir: Du hast so viel Zeit in der Gegenwart dieses Hexenholzstammes verbracht, dass du nicht mehr unterscheiden kannst, wo deine eigenen Gedanken aufhören und ihr raffiniertes Drängen beginnt. In deinem Wunsch steckt mindestens genauso viel kindliche Neugier wie Aufrichtigkeit. Betrachte nur dein Verhalten heute. Du weißt, wo du gebraucht wirst. Und wo steckst du?«
»Hier. Bei der, die mich am dringendsten braucht, weil sie keinen anderen Fürsprecher hat.«
»Sie ist höchstwahrscheinlich längst tot«, sagte seine Mutter unverblümt. »Reyn. Du fütterst deine Phantasie mit Ammenmärchen. Wie lange hat dieser Stamm hier gelegen, und zwar schon bevor wir seine Lage entdeckten? Was auch immer sich darin befunden haben mag, ist schon vor langer Zeit zugrunde gegangen und hat nur noch einen schwachen Widerhall seiner Sehnsucht nach Licht und Luft hinterlassen. Du kennst die Eigenschaften von Hexenholz. Wenn ein Stamm von seinem Inhalt befreit ist, nimmt er die Erinnerungen und Gedanken derjenigen an, die in täglichem Kontakt mit ihm stehen. Das bedeutet keineswegs, dass das Holz lebendig ist. Leg deine Hände darauf, und du nimmst die gefangenen Erinnerungen einer toten Kreatur aus einer anderen Zeit wahr. Das ist alles.«
»Wenn du dir dessen so sicher bist, warum testen wir unsere Theorie dann nicht? Lass uns diesen Stamm dem Licht und der Luft aussetzen. Wenn keine Drachenkönigin seinem Inneren entsteigt, dann gestehe ich meinen Irrtum ein. Ich werde keine Einwände mehr äußern, dass er in Scheite geschnitten und zu einem großen Schiff für die Khuprus-Familie verarbeitet wird.«
Jani Khuprus seufzte schwer. Dann antwortete sie leise: »Es macht keinen Unterschied, Reyn, ob du dagegen bist oder nicht. Du bist mein jüngster Sohn, nicht mein Ältester. Wenn die Zeit reif ist, bist nicht du derjenige, der entscheidet, was mit dem letzten Hexenholzstamm geschieht.« Beim Anblick des gesenkten Gesichts ihres Sohnes beschlich sie der Verdacht, dass ihre Worte vielleicht zu harsch gewesen waren. So dickköpfig er auch sein mochte, er war gleichzeitig auch außerordentlich sensibel. Das hat er von seinem Vater, dachte sie, nein, fürchtete sie. Sie versuchte, ihm ihre Vernunftgründe einsichtig zu machen. »Wenn wir täten, was du vorschlägst, müssten wir Arbeiter von den Aufgaben abziehen, die erledigt werden müssen, da weiterhin Geld in unsere Kassen fließen soll. Der Stamm ist einfach zu groß. Der Eingang, den sie vor langer Zeit benutzt haben, um ihn hierherzubringen, ist schon längst eingestürzt. Und er ist auch zu lang, um ihn durch die Korridore nach draußen zu schleppen. Die einzige Möglichkeit für die Arbeiter wäre, den Wald über uns zu fällen und dann die Erde abzutragen. Wir müssten die Kristallkuppel zerstören und den Block mit Flaschenzügen und Seilen herausheben. Es wäre eine gewaltige Aufgabe.«
»Wenn ich Recht behalten sollte, wäre es den Aufwand wert.«
»Tatsächlich? Nehmen wir einmal an, du hättest Recht und wir hätten diesen Stamm Licht und Luft ausgesetzt und es wäre etwas daraus entstiegen. Was dann? Welche Sicherheiten hätten wir, dass diese Kreatur uns freundlich gesinnt wäre oder uns überhaupt Beachtung schenkt? Du hast mehr von den Schrifttafeln und -rollen der Altvorderen gelesen als die meisten anderen unter uns. Du sagst selbst, dass die Drachen, die in ihren Städten hausten, arrogante und aggressive Geschöpfe waren, dazu geneigt, sich zu nehmen, was immer sie wollten. Würdest du ein solches Wesen befreien wollen, damit es sich unter uns bewegen kann? Schlimmer noch, was ist, wenn es uns ablehnt oder sogar für das hasst, was wir unwissentlich ihrem Volk in den anderen Stämmen angetan haben? Sieh dir die Größe dieses Stammes an, Reyn! Es wäre ein gewaltiger Feind, den du auf dein Volk loslassen würdest, und das einfach nur, um deine Neugier zu befriedigen.«
»Neugier!«, stieß Reyn hervor. »Es ist nicht allein Neugier, Mutter. Ich empfinde Mitleid für die gefangene Kreatur. Ja, und ich hege auch Schuldgefühle wegen dieser anderen, die wir
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