Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Verschwörung der Neuen Händler gegen ihn gibt. Was selbstverständlich nicht unbedingt heißen muss, dass Ihr persönlich darin verwickelt gewesen wärt.« Sie rührte genüsslich etwas Honig in ihren Tee. »Diese Flotte wird jedenfalls empfangen werden, und zwar nicht mit einer gewaltigen Streitmacht und auch nicht mit aufrührerischem Gehabe, sondern mit einem herzlichen und diplomatischen Willkommen. Und danach…«
Sie neigte den Kopf und lächelte Mingsleh gewinnend an.
»Wir werden sehen. Ach ja. Habe ich Euch eigentlich bereits erklärt, dass diese jamaillianische Flotte nicht nur an den Pirateninseln vorbei muss, um zu uns zu gelangen, sondern auch noch die chalcedeanischen Patrouillenboote zu überwinden hat? Meiner Einschätzung nach dürfte das einem Vorbeimarsch an einem aufgebrachten Bienenschwarm gleichen. Falls diese Flotte uns also tatsächlich erreicht, werden sie sich vielleicht über einen friedlichen Hafen und einen Drachenwächter freuen.« Sie rührte immer noch in ihrem Tee, als sie fragte: »Oder habt Ihr Tintaglia schon vergessen?«
»Das werdet Ihr bereuen!«, fuhr Mingsleh sie an. Er stand so abrupt auf, dass das Porzellan klirrte. »Ihr wärt mit uns zusammen an die Macht gekommen! Ihr hättet als wohlhabende Frau nach Jamaillia zurückkehren können, um dort zivilisiert und kultiviert bis ans Ende Eurer Tage zu leben. Stattdessen habt Ihr Euch zusammen mit dieser hinterwäldlerischen Stadt und ihren bäuerlichen Bewohnern dem Untergang überantwortet. Hier hegt man keinen Respekt für den Satrapen! Hier seid Ihr nichts weiter als einfach nur eine Frau, die auf sich selbst gestellt ist!«
Er stürmte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Einfach nur eine Frau, die auf sich selbst gestellt ist! Mingsleh würde niemals begreifen, dass der verächtliche Fluch, den er Serilla entgegengeschleudert hatte, für sie ein Segenswunsch war.
Der Kendry lief unter vollen Segeln in den Hafen ein. Reyn Khuprus saß auf dem zerborstenen Dach eines halb zerstörten Lagerhauses und sah sich die Ankunft an. Tintaglia kreiste einmal über ihnen. Sie blitzte silbern, und während sie über ihn hinwegflog, berührte die Drachenkönigin kurz seinen Geist.
»Die, die ihr Ophelia nennt, kommt auch.«
Reyn beobachtete den Kendry , als die Männer das Lebensschiff an die zerstörte Pier zogen und es festmachten.
Das Zauberschiff hatte sich verändert. Die liebenswürdige, jungenhafte Galionsfigur winkte weder grüßend mit den Armen, noch klatschte sie in die Hände und johlte vor Begeisterung über ihre sichere Rückkehr. Stattdessen hatte der Kendry die Arme vor der Brust verschränkt, und seine Miene war verschlossen. Reyn konnte sich denken, was geschehen war. Tintaglia hatte dem Kendry gesagt, wer und was er wirklich war. Bei seinen letzten Reisen auf dem Schiff hatte Reyn die Anwesenheit des Drachen Unwohlsein bereitet, der unter der oberflächlichen Persönlichkeit des Schiffes lauerte.
Jetzt würden dessen Erinnerungen sicherlich voll und ganz aufgeblüht sein.
Dann dämmerte Reyn allmählich die ganze, grausame Wahrheit: Er würde diese Veränderung bei jedem Lebensschiff miterleben müssen. Jedes bestürzte oder verschlossene Gesicht einer Galionsfigur würde ihn mit dem konfrontieren, was seine Vorfahren getan hatten. Wissentlich oder nicht hatten sie das Leben der Drachen vernichtet und dann deren Geister zu einer geschlechtslosen, flügellosen Ewigkeit als Schiffe verurteilt. Er sollte eigentlich froh darüber sein, dass das Lebensschiff Ophelia die Auseinandersetzungen mit den Chalcedeanern überstanden hatte. Doch jetzt wollte er lieber nicht sehen, wie Grag Tenira die Pier hinunterging, um das Schiff zu begrüßen, das er sein Leben lang geliebt hatte. Stattdessen würde ein finsterer Drachen auf ihn warten. Es war nicht nur die Drachenspezies, die er verletzt hatte; schon bald würde er in den Blicken seines Freundes die Verheerung sehen, die er den Bingtowner Reedern von Lebensschiffen angetan hatte.
Zu viele Veränderungen, sagte er sich. Eigentlich hätte er sich freuen sollen. Malta lebte. Bingtown hatte eine feste Allianz geschmiedet und einen Vertrag vorbereitet, unter den die Drachenkönigin ihr Zeichen setzen konnte. Die Chalcedeaner waren besiegt, jedenfalls vorläufig. Und wenn alles gut ging, wartete irgendwo in der Zukunft eine weitere Stadt der Altvorderen auf ihn, die er erforschen konnte. Diesmal würde er die Verantwortung übernehmen und dafür sorgen,
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