Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehn Milliarden (German Edition)

Zehn Milliarden (German Edition)

Titel: Zehn Milliarden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
Vom Netzwerk:
Schale, die er vor das Mädchen hinstellte.
    »Süß, probier mal«, forderte er sie auf. In der Schale befand sich eine Portion seines Lieblingsgerichts, Fruchteis mit Vanille, das seine Mutter stets auf Vorrat zubereitete. Unsicher blickte sie zu ihrer Mutter, die ihr aufmunternd zunickte, doch nachdem sie ein winziges Bruchstück vorsichtig gekostet hatte, war das Eis in kürzester Zeit verschwunden. Zum ersten Mal an diesem Tag sah Vic das Mädchen lachen, als er wieder aus dem Haus kam. Die Erwachsenen schienen sich ebenfalls prächtig zu unterhalten, denn niemand drängte zum Aufbruch. Der Abstecher zu diesen freundlichen Leuten wurde zum integrierten Bestandteil der Tour, ebenso wichtig wie die Rochen, die Haie und die Schnorchelsafari im Atoll. Vic sollte es recht sein. Sein Leben verlief ohnehin selten nach Plan. Plötzlich hörte man aus der Ferne schallendes Kindergelächter. Niemand hatte bemerkt, dass sich das Mädchen und der Junge leise mit Greta davongeschlichen hatten. Die Mutter des Mädchens sprang auf und eilte zum Wasser.
    »Sarah, was ist los, wo bist du?« Was sie gleich hinter der Landzunge erblickte, ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Ihre kleine Tochter saß zusammen mit Chris vielleicht fünfzig Meter weit draußen in einem ziemlich zerbrechlich wirkenden, kleinen, schmalen und arg auf dem Wasser schaukelnden Kanu. »Mein Gott, kommt sofort zurück!«, rief sie, während sie sich hilfesuchend nach ihrem Mann umsah. »So tut doch was!«
    »Mama, sieh mal, der Hund«, rief das Mädchen kichernd. Greta paddelte munter im Wasser vor dem Boot. Hin und wieder schoss ihr Kopf ins Wasser, jedes Mal gefolgt von neuem Gelächter.
    »Keine Angst, Madame. Chris beherrscht das Boot und er ist ein guter Schwimmer. Er ist praktisch im Va'a geboren worden. Diese Auslegerkanus sind sehr stabil und sicher.« Die Mutter des Jungen gab sich alle Mühe, die verängstigte Frau zu beruhigen. Obwohl keine Gefahr bestand, pfiff sie ihn energisch zurück, worauf er brav ans Ufer ruderte. Greta aber ließ noch nicht locker. Immer wieder versuchte sie es, bis sie endlich mit einem beachtlichen Fisch im Maul wieder auftauchte. Die beiden Kinder gerieten völlig aus dem Häuschen. Sie klatschten und johlten so ansteckend, dass die Erwachsenen nicht anders konnten, als in ihr Gelächter einzustimmen. Der kleine Jäger trottete inzwischen zufrieden knurrend mit seinem fetten Fang zwischen die Bäume um es sich ungestört schmecken zu lassen.
    Der kurze Aufenthalt bei Vics Freunden hatte die Stimmung an Bord wesentlich verbessert. Das Mädchen hatte aufgehört, dauernd zu meckern und schaute zufrieden aus dem Fenster. Vic dankte Greta, dem fischenden Hund, insgeheim für dieses kleine Wunder. Der Tag versprach doch noch ganz angenehm zu werden. Beinahe hätte sich seine Hoffnung erfüllt, wären sie nicht jetzt, kurz vor dem Ende der Tour noch von einem plötzlichen Wetterumschlag überrascht worden. Die kurzen, heftigen Sturmböen zerrten und rüttelten kräftig an den Tragflächen des kleinen Flugzeugs und erzeugten auch im Magen seiner Passagiere beträchtliche Turbulenzen. Stumm und gefasst reichte Vic Papiertüten nach hinten, die das Unvermeidliche auffangen sollten.
    Kurz nachdem er die Familie wieder bei Papeete auf Tahiti abgesetzt hatte, befand er sich bereits im Anflug auf seine stille Bucht im Nordwesten von Tahitis Nachbarinsel Moorea. Der Sturm hatte sich wieder verzogen, sodass er sanft in der ruhigen, glatten und transparenten See vor seiner einsamen Hütte wassern konnte. Er schaltete die Zündung aus und ließ sich ans flache Ufer treiben. Dort vertäute er sein zuverlässiges Arbeitspferd wie jeden Abend und nahm unverzüglich die kleinen Wartungsarbeiten in Angriff, die nach jedem Flugtag durchgeführt werden mussten, angefangen vom Fensterputzen bis zum Auftanken.
    Müde, aber nicht unzufrieden, verstaute er die Geräte endlich im Schuppen und stieg die steile Holztreppe zu seinem ebenso urtümlichen wie luxuriösen Baumhaus hinauf. Er nahm ein ›Hinano‹ aus dem Kühlschrank und leerte die halbe Flasche des eiskalten Biers in einem Zug. Wie jeden Abend setzte er sich an sein Notebook, um allfällige Aufträge für die nächsten Tage abzurufen. Als er anschließend sein privates Eingangsfach anklickte, stutzte er. Eine Meldung wartete. Normalerweise war dieses Fach leer. Die Kollegen und Bekannten aus früheren Tagen, welche diese Adresse kannten, wussten, dass sie ihn besser in Ruhe lassen

Weitere Kostenlose Bücher