Zehntausend Augen
empfohlen hatte. Diese Entscheidung hatte er nie akzeptiert.
»Ich habe Ihre Aktion heute Mittag über Internet verfolgt«, sagte Kronen, während er Ellen intensiv ansah.
Aha, du hast mich also auch im bh gesehen. Das war Ellen höchst peinlich, schließlich war Kronen ihr oberster Vorgesetzter. Sich vor wenigen Kollegen in der Zentrale auszuziehen, war unangenehm, aber die vielen Tausend an ihren Monitoren waren auch keine anonyme Masse. Sie bestand aus ganz konkreten Menschen, wozu auch solche gehörten, vor denen man sich ganz und gar nicht ausziehen wollte.
»Wir können von Glück sagen, dass niemand zu Schaden gekommen ist.«
Das hast du mir zu verdanken. Ein Dankeswort kam allerdings nicht.
»So eine Situation darf nicht wieder vorkommen. Die Menschen in der Stadt haben Angst. Und alle Welt beobachtet uns.«
Was von beidem macht dir mehr Sorgen?, hätte Ellen am liebsten gefragt, aber sie schwieg.
»Wie ist der Stand Ihrer Ermittlungen? Haben Sie schon Ergebnisse? Direktor Brahe berichtet, dass Sie kaum Ansatzpunkte haben.«
Es war schon erstaunlich, wie interessiert der Polizeipräsident an ihren Ermittlungen war. Sonst hielt er sich gänzlich heraus, bis auf die Aufklärungsquoten, die regelmäßig gemeldet werden mussten. Aber wegen der Internetübertragung stand auch er anders im Fokus der Öffentlichkeit als sonst. Er konnte sich nicht nur die Rosinen aus den Ermittlungserfolgen herauspicken. Die Menschen sahen alles, auch das, wo es nicht voranging. Das erhöhte das persönliche Risiko für ihn – und damit verbunden die Gefahr, selbst kritisiert zu werden.
Ellen nickte. »Herr Brahe hat leider recht. Der Erpresser verhält sich äußerst geschickt. Deshalb waren wir gezwungen, auf seine Forderungen einzugehen und die Internetübertragung zu installieren. Aber wir sind zuversichtlich, bei der Untersuchung der heutigen Spuren einen guten Schritt weiterzukommen. Die KTU arbeitet mit Hochdruck an der Analyse der Bombe, und ein weiteres Team kümmert sich um den Parkplatz der BVG, wo der Bus nachts parkt.«
»Das reicht mir nicht. Wir haben keine Zeit. Ich will Ergebnisse, und zwar bald«, sagte der Polizeipräsident. »Und halten Sie die Presse unter Kontrolle. Die ersten Redaktionen fragen schon in meinem Büro an, weil sie von Ihnen nichts hören.«
»Wir werden bald eine Pressekonferenz einberufen«, mischte sich Brahe ein.
»Sind Sie sicher, dass Frau Faber die richtige Beamtin für diesen komplexen Fall ist? Wir brauchen den Besten.«
Der Seitenhieb war ein direkter Angriff auf Ellen. Es fiel ihr schwer, nichts zu sagen, aber eine Entgegnung musste von Brahe kommen.
»Der Erpresser akzeptiert keinen anderen Verhandlungspartner.« Brahe nickte Ellen zu. »Außerdem ist Frau Faber sehr gut für diese Aufgabe geeignet. Sie hat mein volles Vertrauen.«
Stefan Daudert räusperte sich. »Vielleicht wäre eine weitere Unterstützung gut. Frau Faber ist durch die Forderung des Erpressers sehr exponiert – und möglicherweise auch etwas abgelenkt.«
Unverschämt, was hat der sich da einzumischen?
Aber der Polizeipräsident sprang direkt auf Stefans Vorschlag an. »Das sehe ich genauso«, sagte er sofort. »Wir können uns keine Schwäche erlauben.«
Ellen hatte nicht vor, so schnell das Feld zu räumen. »Ich sehe mich durchaus in der Lage, die Verantwortung zu tragen. Wenn ich auf die Forderung des Erpressers nicht eingegangen wäre, hätte es eine Katastrophe gegeben.«
»Ihr Engagement in Ehren, Frau Faber, aber wir haben keine Zeit für Experimente. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass Herr Daudert Sie unterstützt.«
Brahe begann, an seinem Ohrläppchen zu reiben. Das tat er immer, wenn er sich nicht sicher war, was er tun sollte. Wenn es um sein öffentliches Ansehen ging, war mit Kronen nicht zu spaßen. In dieser Beziehung war er äußerst empfindlich. Brahe wandte sich an Daudert. »Also, wenn Sie nicht mit Ihrem SEK-Team im Einsatz sind, werden Sie Frau Faber entlasten, damit sie sich auf die Kommunikation mit dem Erpresser konzentrieren kann.«
Scheiße! Doch Ellen konnte nichts dagegen tun, Stefan als Wachhund an die Seite gestellt zu bekommen. Brahe war ihr Vorgesetzter und musste gegenüber dem Polizeipräsidenten Handlungsfähigkeit beweisen. Stefan sah sie an und schnalzte kaum merklich mit der Zunge.
»Halten Sie mich über die Auswertung der Spuren auf dem Laufenden.« Für den Polizeipräsidenten war das Meeting beendet. Die Verabschiedung war kühl. Er nickte den
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