Zehntausend Fallen (German Edition)
Zuckerwürfel.
»Oder er baut irgendwo eine Falle für uns auf. Er riskiert nichts und muss nur abwarten, bis wir hineintappen.« Ellen griff den Salzstreuer und stellte ihn in das Zuckerwürfeldreieck.
»Wir werden nirgendwo hineintappen«, sagte Hajo. Er nahm den Salzstreuer wieder weg. »Wir schicken jemand anderes in die Höhle des Löwen.« Hajo nahm den Pfefferstreuer mit dem großen »P« an der Seite und setzte ihn so fest auf einen der drei Zuckerwürfel, dass der zerplatzte. »Und zwar ›P‹ wie Professor. Hasels glaubt, er hätte den Professor unter Kontrolle, aber er weiß nicht, was wir gegen ihn in der Hand haben.«
Hajo sah zu dem präparierten Aktenkoffer, der lässig auf einem Schränkchen lag und im Moment ganz unschuldig wirkte. Dann wandte er seinen Blick zu Ellen, wobei er ebenfalls unschuldig lächelte.
»Wenn wir deine Verhörkunst mit meiner Erpresserkunst vereinen, dann wird Veritatis seine Großmutter für uns verkaufen.«
Da war es wieder, dieses Blitzen in Hajos Augen, das jedes Mal kam, wenn er Ellen ihre Zwickmühle vor Augen führte. Das schien ihm diebische Freude zu bereiten.
»Oh, Entschuldigung«, machte Hajo sofort weiter. »Das Wort ›Erpressung‹ magst du ja nicht. Wie nennt ihr das, wenn die Polizei so was macht? Ach ja, dann heißt es ›unter Druck setzen‹.«
Ellen wollte Hajos Freude weder durch eine Diskussion noch durch einen Widerspruch anheizen. »Was ist mit deinem Überwachungsauftrag?«
Hajos herausforderndes Lächeln machte einem enttäuschten Ausdruck Platz. Er hatte sich ein Wortgefecht erhofft, bei dem er nochmals hätte nachlegen können.
»Ich geh mal nachsehen«, sagte er und verschwand im Technikraum.
Ellen genoss die Zeit der Ruhe, in der sie nur das Klappern der Tastatur im Nebenraum hörte. Der Friede währte ein halbes Croissant lang.
»Wir haben ihn«, rief Hajo von drüben.
Mit dem Rest-Croissant in der einen und der Kaffeetasse in der anderen Hand wanderte Ellen zu Hajo.
»Ich wusste, dass wir ihn kriegen werden.« Jetzt klang Hajo wieder begeistert. »Es war nur eine Frage der Zeit. Ich musste nur warten, bis eine App auf seinem Smartphone ein Update macht, dann habe ich mich drangehängt.«
»Ich weiß, dass du ein Genie bist«, sagte Ellen mit leicht spöttischem Unterton, der Hajo aber nicht zu interessieren schien.
»Ich habe sofort sein gps eingeschaltet. Er ist hier.« Hajo blendete einen Stadtplan von Berlin auf den Monitor ein und zeigte auf eine kleine rote Zielscheibe.
»Mach mal größer«, sagte Ellen.
Hajo klickte auf die Zielscheibe. Der Stadtplan zoomte heran, bis man einzelne Straßen erkennen konnte. Die Zielscheibe bewegte sich eine der Straßen entlang.
»Petersburger Straße«, las Hajo vor.
»Er hat ein Haus im Prenzlauer Berg«, sagte Ellen. »Er wird gerade gestartet sein, um ins Institut zu fahren. Kannst du feststellen, ob er alleine ist?«
»Ich soll einen verbotenen Lauschangriff starten?«, fragte Hajo mit gespielter Entrüstung.
»Als ob du das nicht zu gerne machst. Los! Ich warte.«
Hajo gab grinsend einen Befehl in den Computer, um das Handy von Veritatis anzuzapfen. Kurz darauf hörte man Veritatis Stimme. Sie klang gedämpft. Vermutlich hatte er sein Handy in der Jackentasche. Trotzdem konnten Ellen und Hajo alles verstehen.
»Ich will keinen Aufpasser«, sagte Veritatis gerade.
»Befehl vom Chef. Der will das so«, sagte eine Stimme mit russischem Akzent.
»Hasels ist nicht mein Chef. Er hat mir gar nichts zu sagen.«
Leises Lachen. »Er gibt Ihnen Geld, also hat er etwas zu sagen. So einfach ist das. Beschweren Sie sich bei Hasels. Solange der mir nichts anderes sagt, bleibe ich an Ihrer Seite, ob Ihnen das passt oder nicht.«
»Das ist Alexej«, sagte Ellen. »Viel Muskelmasse, wenig Gehirn.«
»Eine lösbare Aufgabe«, sagte Hajo. »Ich lasse mir was einfallen, während du dir dein neues Outfit besorgst.«
Ellen ging, um sich die gleichen Sachen nochmals zu kaufen, die sie gestern Abend im Steakhaus getragen und dann in der Toilette entsorgt hatte. Auch wenn Veritatis inzwischen wissen dürfte, dass alles nur Verkleidung gewesen war, um ihn zu beeinflussen, gab es einen Wiedererkennungseffekt. Veritatis kannte Ellen nur so. Und vielleicht sprach sein Unterbewusstsein doch wieder auf den bevorzugten Frauentyp an, wenigstens ein bisschen, was ihr Vorhaben erleichtern würde. Das konnten sie gut gebrauchen.
27
Veritatis legte den Telefonhörer zum dritten Mal auf den Apparat
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