Zehntausend Fallen (German Edition)
besuchen?«
»Pasano hat für Saatogo und Progentus gearbeitet.« Ellen machte mit einem blauen Textmarker ein großes »A« auf die Zettel, die Pasanos Arbeitgeber dokumentierten. »Beide Firmen sind in die Genmanipulationen verwickelt, die das Chaos auf der Welt auslösen. Es muss hier einen Zusammenhang geben – und dieser Zusammenhang heißt Pasano. Er hat die Finger da mit drin. Das ist der dicke schwarze Fleck auf der weißen Weste des Genies.«
»Und jetzt hat er kalte Füße bekommen und ist abgehauen? Das kann nicht alles sein.« Hajo lehnte sich mit dem Rücken an die Zettelwand und sah Ellen herausfordernd an.
Ellen erwiderte den Blick ungerührt. »Oh, das Genie in diesem Raum hat schon weitergedacht und will die kleine Polizistin jetzt prüfen.«
Hajo hob abwehrend die Hände und tat entrüstet. »Was denkst du bloß von mir? Ich höre dir nur gerne zu, wenn du scharf nachdenkst. Ich liebe deine Logik.«
Was Ellen von Hajo dachte, sagte sie ihm lieber nicht. Sie trat dicht vor ihn, sah ihm direkt in die Augen und sagte kühl: »Wenn du meine Logik so liebst, dann sollst du noch ein paar messerscharfe Schlüsse bekommen.« Dabei streckte Ellen ihre Arme aus und stützte sich damit rechts und links von Hajos Kopf an der Wand ab, sodass er ihr nicht ausweichen konnte. Mit ihren Blicken nagelte sie seine Augen fest.
Während sie seinem Gesicht immer näher kam, sprach sie schnell, fast wie ein Maschinengewehr. »Hasels würde Pasano nie jagen, nur weil der wegen kalter Füße abgehauen ist. Hasels Auftraggeber sind keine Mafiosi, die Rache wollen, sondern Konzerne mit Wirtschaftsinteressen. Pasano muss etwas haben, das wichtig für sie ist. Dieses ›Etwas‹ kann nur bedeuten, dass er die Lösung für die Katastrophe da draußen hat. Sie brauchen dringend diese Lösung, und dazu brauchen sie Pasano.«
Das Maschinengewehr machte eine Pause. Ellens Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von Hajos Gesicht entfernt. Er konnte ihrem Blick nicht ausweichen. Sie konnte seinen schneller werdenden Atem spüren und mit dem Atem seine wachsende Verunsicherung. »Scharf genug, meine logischen Schlüsse?«
»Uh. Ja. Natürlich. Absolut logisch.« Jetzt hielt Hajo die Luft an.
»Dann ist es ja gut«, sagte Ellen und zog sich wieder zurück.
Hajo begann wieder zu atmen.
Ellen ging zu einer Ablage und nahm eines ihrer abhörsicheren Handys. »Da ich meine Denkfähigkeit anscheinend zu deiner Zufriedenheit bewiesen habe, kannst du jetzt deine Recherchegabe beweisen. Finde heraus, wer Pasanos Mutter ist und wo sie wohnt. Ich gehe in der Zwischenzeit einkaufen.«
»Einkaufen?«
»Ich brauche ein neues Outfit. Wir werden demnächst eine alte Dame besuchen, ich hoffe, heute noch.« Ellen hielt das Handy hoch. »Ruf mich an, wenn du weitergekommen bist.«
Die Perücke mit den schulterlangen schwarzen Haaren behielt Ellen gleich auf, nachdem sie sie bezahlt hatte. Dazu kam noch eine Brille mit schwarzem Gestell. Der Optiker wunderte sich nicht, dass Ellen nur ein Gestell mit Fensterglas direkt zum Mitnehmen wollte. Das war der Vorteil einer Großstadt. Hier liefen so viele Menschen herum, die eigenartige Vorlieben hatten, dass man kaum mit neugierigen Fragen rechnen musste. Hajos Anruf erreichte Ellen in einer Umkleidekabine.
»Ich glaube, ich weiß, wie Pasanos Mutter heißt: Elisabeth Glienicke, vielleicht auch Glienicke-Pasano.«
»Du glaubst ? Warum weißt du das nicht?«
Ellen meinte, ein Seufzen auf der anderen Seite zu hören. »Du ahnst ja nicht, wie schwierig die Suche war. Pasanos Vater heißt Giuseppe. Weißt du, wie viele Giuseppes es in Italien gibt? Und Giuseppe Pasano ist auch keine exotische Kombination. Das Internet läuft über davon, das italienische Internet, und Italienisch kann ich nicht. Wie sollte ich da suchen? Dazu kommt, dass Pasanos Eltern wohl kaum einen Facebook-Account haben.«
»Trotzdem etwas zu finden, unterscheidet eben das Genie von einem Normalsterblichen«, sagte Ellen, während sie sich das Handy mit der hochgezogenen Schulter an ihr Ohr klemmte. »Wie bist du auf den Namen gekommen?«
»Ich habe eine ganze Reihe Annahmen gemacht, um die Suche einzugrenzen. Sie müssen irgendetwas mit Berlin zu gehabt haben. Herausgekommen sind nur Ergebnisse mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten, deshalb ...«
»Ist eigentlich egal«, kürzte Ellen die Erklärung ab. »Du wirst die wahrscheinlichste Lösung genommen haben. Da fangen wir an. Ich befürchte, wir haben wenig
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