Zeilen und Tage
»strukturierten Produkten« der Großbanken versteckt wurden.
Alles wirkt wie hingestellt, wie um den Satz des Buddha zu bestätigen, den ich eben in der Sammlung der Langen Reden finde: »The Household Life is close and dusty.« Die Sentenz steht in der epochemachenden Lehrrede: The Fruits of Homeless Life .
Dann vor New Heaven das Meer, die Öffnung. Nun sieht manüberwinternde Boote auf dem Wasser, die besseren Häuser, ein wenig Industrie. Möwen bewegen sich auf dünnem Eis – Vögel, »belastet durch nichts außer ihren Flügeln«.
Warum die Asche des Buddha in acht Portionen aufgeteilt wurde?
Wo Leute Lagerraum finden, ruft eine Rieseninschrift: Your stuff here (Pfeil). Nähert man sich von Nordosten her, ist die Ankunft in NY City beklemmend, man fährt fast eine halbe Stunde durch chaotische Agglomerationen. Wer könnte hier leben? Man darf solche Fragen nicht stellen, um schädliche Einfühlung zu vermeiden. Das Befremden legt sich, ist man erst einmal in Manhattan angelangt. Der Zug rollt langsam durch heruntergekommene Tunnel, die an die Unterwelt von Gotham City erinnern. Das alte Sichauskennen kehrt wieder und mit ihm die Zuversicht, die Stadt ließe sich doch irgendwie bewohnen.
Fast zu Hause fühlst du dich, wenn du von einem illegalen Fahrer angesprochen wird, der dir für ein schlichtes Vierfachhonorar den Horror erspart, an der Penn Station in einer siebzig Meter langen Schlange im Regen zu stehen. You made my day, man. Das Hotel The Lucerne, das akademische Gastgeber sich eben noch leisten können, ist gut gelegen, wenn man vorhat, die Gegend um den Broadway auf der Höhe der 80. Straße zu Fuß aufzusuchen. Lag es am Regen, an der Dunkelheit, an meinem abgeschabten Zustand, mir war zumute, als sähe ich den stillen Verfall der Stadt bei jedem Schritt. Man sollte besser im Frühsommer hierher reisen, wenn die Weltstadtillusion vom Klima unterstützt wird.
Den Gesprächen mit Bruno während der Tage in Harvard ist eine Einsicht zu verdanken: Die Sphärologie ist die Methode, die Geräumigkeit der Welt millionenfach zu erhöhen, während die üblichen Diskurse der Globalisierung die Welt degoutant verkleinern.
19. Februar, New York
Auch das ist die amerikanische Philosophie: Als Isabelle Stengers jüngst beim philosophischen Department von Harvard eine Vorlesung über Whitehead geben sollte, fanden sich vier Hörer ein, Latour mitgerechnet, auf dessen Betreiben sie angereist war.
Besuche am frühen Vormittag Michael Doyle in seinem Büro in der Columbia University, 118th Street and Amsterdam. Wir nehmen den Faden von unserem Treffen in Monaco auf, als wäre es gestern gewesen, und plaudern über Stéphane Hessel, den Wundersenior, das Collegium International und seine Sorgen um das vernachlässigte Thema Global Governance, den gerechten Krieg, die Immunsysteme und die Wochenend-Ehen der Akademiker. »You must show your wife how to miss you.«
Ein amerikanischer Professor darf alles sein, nur keine ästhetisch empfindliche Seele. Die Häßlichkeit von Bürotürmen sollte er für eine Schöpfungstatsache halten und das Trinken von Espresso aus Papierbechern, die man sich vier Stockwerke tiefer vom Automaten holt, für ein Schicksal, das von Geburt an feststeht. Auch soll er die ewig offenen Bürotüren der Kollegen für eine basale Aussage über das Wesen des Menschen halten – das zoon politikon ist nie mit einem Besucher allein im Raum. Er soll überzeugt sein, daß Universitäten factories sind, in denen man informierte Leute herstellt. Schon deswegen ist er von Amts wegen verpflichtet, auf seine europäischen Kollegen herabzublicken, die sich noch immer wie Priester verhalten, indem sie einmal oder zweimal in der Woche die Sakramente spenden und für den Rest der Zeit unauffindbar sind.
Hier, in diesem Turm des Departments für politische Wissenschaften, bevölkert von Nine-to-five-Dozenten, habe ich wieder vor Augen, wovon Heinrich Klotz träumte, als er bei der Gründung unserer Hochschule in Karlsruhe das akademische Einhorn jagte – den ständig anwesenden Professor auf baden-württembergischem Boden. Er wollte die amerikanische Campus-Lebensform in die südwestdeutsche Provinz einpflanzen, vergeblich, da auch bei uns wie überall an deutschen Hochschulen die Lehrenden bis auf wenige Ausnahmen visiting professors blieben, aus dem Zug ausgestiegen, vorübergehend da, und gleich wieder weg.
Schon am frühen Vormittag sind sie überall zu sehen, die Verlierer auf den Straßen,
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