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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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verspotten.
    Ich hätte dich töten können. Aber ich habe es nicht getan. Diesmal nicht.
    Er verbrachte fast eine halbe Stunde damit, die Weide systematisch nach Spuren abzusuchen, die Aufschluss darüber gaben, wie der Schütze hierhergekommen war oder wie er sich von hier entfernt hatte. Schließlich kehrte er ohne eine befriedigende Antwort zu seinem Ausgangspunkt zurück, um die Hülsen aus der Hecke zu ziehen und sie sich genauer anzusehen.
    Hinter ihm sagte Hamish: »Drei.«
    Soldaten in Schützengräben waren ein abergläubischer Haufen.
Es hieß, deutsche Heckenschützen warteten darauf, dass ein Mann sich eine Zigarette anzündete und das Streichholz dann an die Männer weiterreichte, die neben ihm standen. Und wenn die dritte Zigarette zu glimmen begann, brachte der Heckenschütze sie zur Strecke. Drei.
    Wie die anderen Hülsen waren auch diese vom Kaliber.303, aus einer Maxim. Keine andere Waffe war im Krieg so verbreitet gewesen, denn halb Europa hatte das Modell für seine Armeen kopiert. Und es war todbringend gewesen, wenn es das öde, von Drähten durchzogene und von Kratern durchlöcherte Niemandsland mit einem Kugelhagel durchmäht hatte. Das Maschinengewehr, dachte Rutledge, hatte mehr Opfer gefordert als jede andere Waffe. Der Schütze konnte mit seiner kleinen Mannschaft Hunderte von Männern abwehren, und es gab keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.
    Rutledge stand da und betrachtete eingehend die Patronenhülsen. Wie die anderen, die er bisher gefunden hatte, waren auch diese eindeutig dafür bestimmt, von ihm einer genauen Untersuchung unterzogen zu werden.
    Selbst in dem grauen Nachmittagslicht konnte er den Schädel sehen, der sorgfältig in eine Mohnblume eingefügt war. Die Blüte war wunderschön herausgearbeitet, die Blütenblätter weit geöffnet und liebevoll gestaltet, und der Totenkopf starrte Rutledge mit geschwärzten Augenhöhlen an, die tief genug in das Metall eingeritzt waren, um sie in einem gespenstischen Maße realistisch wirken zu lassen.
    Er dachte sich nichts dabei, als er mit einem Finger, der in einem Handschuh steckte, die dunklen Augenhöhlen berührte. Dann sah er einen Schmierer auf dem Leder.
    Rutledge hätte schwören können, dass es sich um Blut handelte. Aber ob es sein eigenes war, das aus den Schnittwunden in seinem Gesicht stammte, oder ob es von der verzierten Patronenhülse kam, hätte er nicht sagen können.

    In Hertford fand er einen Mann, der die zerschmetterte Windschutzscheibe ersetzen konnte, aber was sein Gesicht anging, ließ sich nicht viel machen, außer den Arzt, den ihm die Frau des Besitzers der Reparaturwerkstatt empfohlen hatte, zu bitten, die Glassplitter, die besonders tief eingedrungen waren, aus seiner Haut zu ziehen.
    »An Ihrer Stelle würde ich das Inspector Smith melden«, sagte Dr. Eustace zu ihm. »Wir können doch nicht zulassen, dass törichte Narren mit geladenen Schusswaffen durch die Gegend laufen! Sie könnten blind sein, wenn dieser Splitter Sie ins Auge getroffen hätte und nicht in Ihrer Augenbraue stecken geblieben wäre!« Er hielt einen Glassplitter mit blutiger Spitze hoch.
    »Es war ein Unfall«, antwortete Rutledge und bemühte sich, Überzeugung in seine Stimme einfließen zu lassen. Sein Gesicht brannte teuflisch. Er hatte nicht die Absicht, mit jemandem über die Patronenhülsen zu diskutieren, und schon gar nicht mit einem provinziellen Inspector, der Fragen stellen würde, die er sich selbst nicht beantworten konnte. Aber unterdessen sagte ihm Hamish immer wieder, der Schuss hätte ins Auge gehen können. Für beide.
    »Und du musst dich fragen, warum er dich nicht getötet hat, als er dich in Sichtweite hatte.«
    »Auf einer öffentlichen Landstraße?«, gab er stumm zurück, während Dr. Eustace weiterhin Splitter aus seinem Gesicht zog. »Ich wüsste lieber, warum er mir nach Beachy Head gefolgt ist, wenn er mir dort nichts weiter als eine Warnung zukommen lassen wollte. Warum hat er mich nicht auf der Klippe erschossen und meine Leiche schlicht und einfach über den Rand ins Meer gestoßen? Ich habe eine ausgezeichnete Zielscheibe abgegeben, als ich dort stand und mich gegen den Himmel abzeichnete. Er hätte mich ohne jede Mühe loswerden können und nicht einmal Spuren hinterlassen müssen.«
    »Das schon, aber ich kann nicht glauben, dass er es sich so
leicht machen wollte.« Nach einem Moment fügte Hamish hinzu: »Es macht ihm Spaß, mit dir zu spielen.«
    »Er hätte vor mir da sein müssen«,

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