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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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Liebe? Oder eine notwendige Kraftanstrengung, die sein Überleben sicherte? Baylor hatte als Erster Constable Hensley gefunden, der dalag und kalt genug war, um als Toter durchzugehen.
    Plötzlich und ohne jede Vorwarnung fühlte sich Rutledge wehrlos ausgeliefert, als gäbe er hier, wo er jetzt stand, für jeden, der Jagd auf ihn machte, eine ideale Zielscheibe ab.
    Für dieses Gefühl gab es keine Erklärung. Außer einem sechsten Sinn, der im Krieg geschärft worden war. Die kleinen Fenster der Häuser, die er von hier aus sehen konnte, waren gegen den Wind geschlossen und nichts und niemand zeichnete sich dort ab. Und von den langen Ställen, in denen, weit abseits vom Dorf, die Rinder untergebracht waren, einen Schuss abzugeben, wäre sehr schwierig gewesen. Selbst wenn jemand verborgen hinter den Schafen lag, wäre ein Gewehr erforderlich, um ihn auf diese Entfernung zu treffen.
    Dennoch stand er da und suchte die Gegend um sich herum ab, wobei er sich langsam im Kreis drehte und in alle Richtungen schaute.
    Nirgends war ein Mensch zu sehen, darauf hätte er schwören können. Aber dasselbe galt auch für die Landspitze in Kent und für die Weide in Hertford.
    Etwas stach ihm ins Auge, als er das größere Gebäude betrachtete, das an der Abzweigung stand. Er hätte schwören können, dass er in einem der Fenster des Gasthauses jemanden gesehen hatte, eine schnelle Bewegung.
    Hamish sagte: »Du bildest dir Ärger ein, wo keiner ist.«
    »Wenn ich einen Fehler mache, wirst du so tot sein wie ich«, antwortete ihm Rutledge unwirsch. Der Wind riss die Worte aus seinem Mund.
    »Ich bin noch nicht bereit zu sterben. Du wirst mich kein zweites Mal im Stich lassen.«
    Aber Rutledge lief bereits forsch auf das Oaks zu und war in Gedanken vollauf beschäftigt. Seine Blicke glitten nicht mehr
über die Felder, die sich menschenleer und endlos um ihn herum zu erstrecken schienen.
    Es behagte ihm nicht, verfolgt zu werden. Das war etwas, was in seinem Hinterkopf rumorte und ihn aufrieb. Und es war ständig da.
    Wird es hier passieren? Oder wird es überhaupt nicht passieren?
    Er stellte fest, dass er die Zähne zusammenbiss, weil er das Gefühl hatte, sich wieder einmal unter schweren Beschuss zu begeben, in den Feuerhagel hineinzulaufen, wie er es in Frankreich zahllose Male getan hatte.
    Ich war im Krieg , sagte er sich. Und das hat derjenige, wer auch immer es ist, nicht berücksichtigt.
    Wenn die Deutschen es nicht geschafft hatten, ihn zu töten, dann würde es bei Gott nicht irgendein Feigling bewerkstelligen, der auf der Lauer lag …
    Er blieb abrupt stehen.
    Hamish sagte: »Der tote Soldat.«
    Tot, aber ohne einen Grabstein auf dem Friedhof.
    »Ja«, sagte Rutledge bedächtig. Er hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt. »Aber er war gar nicht tot. Er hat sich die Verkleidung eines Toten zugelegt. Irgendwie. Aber das konnte Tommy Crowell nicht wissen. Er wäre bestimmt auf das zugelaufen, was er gesehen hat, um seine Neugier zu befriedigen. Und der Jäger, der es nicht riskieren wollte, den Jungen zu erschießen, hat ihm stattdessen einen Schrecken eingejagt.«
    »Viel wäre nicht nötig gewesen, um dem einen Schrecken einzujagen«, antwortete Hamish. »Der Junge hat so schnell nichts begriffen.«
    »Und wenn jemand gehört hätte, dass er von einem toten Soldaten redet, der auf Mrs. Massinghams Land liegt, wäre er ausgelacht worden, und die Leute hätten ihn verspottet.«
    Er hatte den Weg zum Oaks bereits zur Hälfte zurückgelegt, mit großen, zornigen Schritten.
    Jemand kam aus dem Gasthaus, ging auf ein Automobil zu
und fuhr fort. Er verschwand auf der Hauptstraße in Richtung Norden.
    Als Rutledge den Eingang des Oaks erreichte, war er außer Atem. Die letzten hundert Meter war er gerannt und hatte dabei lauthals geflucht.
    »Keating?«, rief er, als er forsch die Bar betrat.
    Dort war niemand, und er durchmaß den Raum mit langen Schritten und trat durch die Tür in den angrenzenden gemütlicheren Teil der Bar.
    Das Kaminfeuer war nicht angezündet, und in dem Raum mit der dunklen Holztäfelung war es kalt und schummerig. Im ersten Moment glaubte er, jemanden am Fenster zu sehen, doch dann erkannte er, dass es sich um ein langes, schmales Porträt eines Mannes in Reitkleidung handelte, der auf einer belaubten Schneise stand und sein Gesicht einer fernen Szenerie zugewandt hatte, die nur er sehen konnte.
    Rutledge schloss die Tür wieder, lief durch den Gang zur Küche und erschreckte Hillary Timmons so

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