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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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darin gesehen. Schließlich hätte Mrs. Mason nie Interesse daran gezeigt, von Emma zu hören.«
    Er fragte sich, ob Grace Letteridge gelogen hatte, um Emma zu schonen.
    Er stand jetzt auch auf und fragte so beiläufig, als sei es unwesentlich: »Ich hätte geglaubt, mit siebzehn könnte es gut sein, dass Emma hier jemandem ihr Herz geschenkt und daher jedes Interesse an London verloren hatte. Das kommt vor.«
    Sie biss sich auf die Lippen, als fiele es ihr schwer, ihn irrezuführen. »Davon weiß ich nichts, Inspector.« Sie hatte es zu
schnell bestritten. Jetzt fügte sie hinzu: »Emma hat sich mir nie anvertraut.«
    »Aber Sie kannten sie. Sie hätten sich vielleicht denken können, wem ihre Zuneigung gehört hat.«
    Martha schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Hier gab es niemanden, aus dem sie sich etwas gemacht hat. Sie ist nach London gegangen. Ich werde immer fest davon überzeugt sein.«
    Er trieb sie in die Enge. »Wenn sie nicht bei ihrer Mutter und auch nicht mit einem Mann zusammen ist, in den sie sich verliebt hat, was bleibt dann noch übrig?«
    »Sie war noch zu jung, um ohne die Einwilligung ihrer Großmutter zu heiraten. Und sie wäre mit niemandem fortgegangen, ganz gleich, was sie für ihn empfunden hätte - sie war dazu erzogen worden, ihre Großmutter zu respektieren. Emma hätte ihr niemals solche Schande bereitet.«
    Er konnte sich ausmalen, wie sehr die Ehefrauen des Bäckers, des Gemüsehändlers und des Metzgers diese Form von Skandal genossen hätten und mit welchem Vergnügen sie Mrs. Ellison ihre Schande immer wieder unter die Nase gerieben hätten. In dem Punkt musste er Martha zustimmen.
    »Möglicherweise hat Emma gehofft, ihre Mutter würde ihr die erforderliche Genehmigung geben.«
    »Nein. Irgendwie kann ich das nicht glauben - wenn es wahr wäre, dann wäre sie zurückgekommen.« Sie war so aufgewühlt, als hätte er Emma der Lasterhaftigkeit bezichtigt. Nach einem Moment fügte sie hinzu: »Es war ein Fehler, dass ich hergekommen bin. Ich hatte gehofft, Sie hätten Neuigkeiten. Constable Hensley wollte mir auch keine Antworten geben. Es ist frustrierend, wenn alle glauben, man sei noch zu jung, um die Wahrheit zu erfahren! Aber sagen Sie meinen Eltern bitte nicht, dass ich so dumm war, allein hierherzukommen. Sie werden wütend auf mich sein. Es tut mir leid …« Und mit diesen Worten lief sie zur Tür hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Er rief ihr nach, doch es war bereits zu spät.

    Unruhig unternahm er einen Spaziergang, von dem er sich vor allem einen klaren Kopf erhoffte. Er lief bis zum Oaks, bog dann nach rechts ab und spazierte durch die Felder, die zu dem Bach hinunterführten, dessen gewundener Lauf durch die Viehweiden hinter Dudlington von Bäumen gesäumt wurde. Sowie er den Schutz der Ortschaft hinter sich zurückgelassen hatte, spürte er den Wind und konnte fühlen, wie die Kälte durch seinen Mantel drang und mit eisigen Fingern seine Haut berührte. Kein Wunder, dass die Ortschaft den Feldern den Rücken kehrte, wenn sie auch noch so pittoresk erscheinen mochten - sie waren nach Westen ausgerichtet, und die vorherrschenden Winde trafen in dieser offenen Weite auf keinen Widerstand, bevor sie die Steine und den Mörtel dicht zusammengedrängter menschlicher Behausungen erreichten.
    Er drehte sich um und blickte zurück. Der Himmel über ihm war eine bleierne Glocke, und die Felder wiesen ein verwelktes Braun auf. Von hier aus wirkte Dudlington klein und bedeutungslos. In diesem Hochland hätte ein Maler wie Constable sehr wenig von Interesse gefunden, selbst dann, wenn das Vieh zum Grasen hinausgebracht wurde.
    Er glaubte, die Rücken brauner Schafe auf den Weiden jenseits der Hauptstraße sehen zu können. Sie hatten die Farbe von kräftiger, dunkler Bratensauce, und ihr Winterfell war dicht und schwer.
    Die Bergschafe in Westmorland waren unter ihrer Schneedecke weiß gewesen. Er fragte sich, was sie wohl von dieser gemäßigteren Umgebung halten würden, die im Vergleich zum Lake District geschützt und begünstigt war. Wie ausgeprägt der Selbsterhaltungstrieb war, sagte er sich, ließ sich daran ermessen, dass Lebewesen lernten, sich mit widrigen Umständen zu arrangieren. Warum also hatte Ted Baylor ausgerechnet den heutigen Tag für den Versuch gewählt, Barbara Melfords gebrochenes Herz zu kitten? Welche Veränderung war in seinen oder in ihren Lebensumständen eingetreten? Oder war er aus einem
ganz anderen Grund bei ihr aufgetaucht? War es

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