Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
nur eine automatische Ansage hören: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.« Ich hatte die Nummer nach meinem eigenen Code verschlüsselt und in Gruppen von jeweils vier Ziffern aufgeschrieben, die an sich in der richtigen Reihenfolge standen, nur musste man jede Vierergruppe von hinten lesen. Onkel wiederum war der Vizechef der Petersburger Kasse und über alles informiert, was im kriminellen und legalen Business in der Stadt und der näheren Umgebung ablief.
Die zweite Nummer, die ich suchte, stand im selben Kalender unter »Taxi«. Ich schrieb auch sie ab.
Aus dem Büro würde ich nicht anrufen, überhaupt von keinem mir gehörenden Telefon oder Anschluss.
Der Abend zu Hause verlief geruhsam, fast angenehm. Die Situation war irgendwie klarer, da Julija weit weg war. Auch Marja verhielt sich freundlich, die Kinder spielten für sich und schliefen nach der Sauna bald ein.
Marja saß bis spätabends draußen, trank Weißwein, und auch ich gönnte mir zwei Wodka. Wir gingen wie auf Verabredung ins Bett und zogen uns aus. Vorsichtig berührte ich Marjas Brust und spürte, wie sehr sie auf mich wartete.
Beim Lieben gab Marja die vertrauten Geräusche von sich, die wie das schüchterne Bellen eines kleinen Hundes klangen, biss sich dann auf die Fingerknöchel und kam, wie immer mit geschlossenen Augen, auf sich selbst konzentriert, als sei sie ganz woanders und es stehe mir nicht zu, nach dem Wo zu fragen.
Dennoch war ich zufrieden. Ich hatte eine erwartete und geschätzte Mannespflicht erfüllt, war fähig gewesen, Befriedigung zu schenken.
Marja wandte mir den Rücken zu, zog sich die Decke über die Ohren und fand die richtige Position. Nach wenigen Minuten schlief sie ein.
Ich wartete auf den Schlaf. Gerade sank ich in graue Tiefen, als ein gestochen scharfes Bild von Karpow mich aufschreckte. Wir waren zusammen aufgewachsen, als beste Freunde, und für meinen besten Freund hatte ich ihn auch später gehalten. Doch er hatte mich betrogen.
Ich wusste, dass Karpow, meine Jugendliebe Lena, mein toter Arbeitgeber Ryschkow, meine Mutter … alle Menschen, die sich schmerzhaft aus meinem Leben entfernt hatten, in der Nacht kommen würden, als ungebetene Gäste. Und ichfürchtete, dass im selben Traum auch Wronskij und Julija erscheinen könnten.
Nein, ich wusste, dass sie ebenfalls kommen würden, mit Sicherheit.
Ich stand leise auf, schlich mich in die Küche und goss mir noch einen Wodka ein.
Auf der Straße oberhalb des Hauses glitt langsam ein Wagen vorbei. War es ein VW Golf? Ich prägte mir das Fahrzeug ein. Sicherheitshalber. Ich hatte gelernt, dass es kein überflüssiges Wissen gibt.
19
Marko Varis bemühte sich, noch unauffälliger zu wirken als gewöhnlich. Er merkte, dass er sogar flach atmete, damit nur ja kein Hauch zu hören war. Der Ermittler der Sicherheitspolizei fühlte sich in der russischen Botschaft in der Tehtaankatu nicht heimisch und sicher. Obwohl er auf Einladung und dienstlich dort war.
Zum Glück brauche ich nichts zu sagen, dachte Varis, seufzte und erschrak, weil er ein paar Schallwellen ausgestoßen hatte. Er spürte, wie seine Achselhöhlen feucht wurden, ahnte den stechenden Schweißgeruch und stellte sich gleich darauf vor, peinlich süßen Deodorantduft zu verströmen.
Der Saal befand sich im Erdgeschoss des alten Hauptgebäudes der Botschaft, gleich hinter der Sicherheitspforte am Eingang. Die hellgrauen Vorhänge fielen in dicken Falten bis fast auf den Boden und dämpften die mittägliche Helligkeit. Der Fußboden war mit Riemenparkett belegt, in V-förmigen Zweierreihen. Wie der Abdruck eines Traktorreifens im Schnee, dachte Varis, obwohl er kein Bauernsohn war.
Zum Teufel, Korhonen hätte darüber bestimmt einen Witz vom Stapel gelassen, ging ihm durch den Kopf. Er war froh, dass der Kripomann nicht zu dieser Besprechung eingeladen war.
Hier sitzen ohnehin mehr als genug Leute, und ich habe mich auch nicht aufgedrängt, mitzukommen, überlegte Varis.Die Einladung hatte in der Supo-Zentrale einen riesigen Wirbel und endlose Beratungen verursacht. Der Chef der Supo und die Leiter der Helsinkier Polizei hatten zuerst den erweiterten Führungsstab der Operation einberufen, dann die Hälfte der Leute weggeschickt und neue herbeizitiert.
Die Sicherheitsvorkehrungen anlässlich des Staatsbesuchs haben höchste Priorität, alles muss reibungslos ablaufen, hatte der Chef betont. Wir müssen unsere Effektivität und Kompetenz unter Beweis stellen, gegenüber der
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