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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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einen Einbruch in Filomenas Zimmer, und schließlich hatte die Polizei Merediths Leiche gefunden.
    Weil Raffaele und ich anders reagiert hatten als die anderen – und vermutlich auch anders, als Napoleoni sich vorstellte, wie sie selbst reagiert hätte –, waren sie und der Staatsanwalt zu dem Schluss gelangt, dass Raffaele und ich die Mörder waren. Natürlich ist es normal, dass Menschen voreilige Schlüsse ziehen, aber nicht, dass eine Polizeibeamtin Fakten ignoriert und sich auf oberflächliche Eindrücke verlässt. Groll brannte in meinem Magen. Ich wollte sie anschreien: »Wer sagt denn, dass man nur auf eine Art und Weise reagieren kann? Wo steht geschrieben, dass man schuldig ist, bloß weil man anders ist?«
    Bei unserer ersten Begegnung hatte ich Napoleoni fies gefunden. Nachdem ich mehr Zeit mit ihr verbracht hatte, war sie mir richtiggehend verhasst gewesen. Doch als ich sie nun im Zeugenstand sah, dachte ich: Du warst so dumm, Amanda. Wie konnte dir entgehen, dass Napoleoni dich von Anfang an für schuldig gehalten hat?
    Mir fiel wieder ein, wie ich am 3. November auf der Rückbank des Streifenwagens gesessen hatte, als die Polizei mich zum Haus fuhr. Napoleoni saß vorn auf dem Beifahrersitz. Ich sagte, ich sei müde. Sie fuhr herum und starrte mich böse an. »Was?«, tadelte sie mich in scharfem Ton. »Ist es Ihnen denn ganz egal, dass jemand Ihre Freundin ermordet hat?«
    An jenem Tag hatte ich mich ausgenutzt gefühlt. Die Polizisten hatten bei mir Schuldgefühle geweckt. Sie verstanden nicht, dass mein Leben in Trümmern lag. Sie waren den Stress ihrer Arbeit gewohnt, aber ich glaube, ihnen war nicht klar, dass normale Menschen müde werden und Hunger bekommen und dass ihnen manchmal auch einfach alles zu viel wird.
    Obendrein war ich auch enttäuscht von mir selbst. Ich schien überhaupt nichts richtig machen zu können.
    Im Freskensaal brachten die anderen Polizeizeugen einer nach dem anderen dieselben Punkte vor wie Napoleoni, oftmals sogar mit denselben Worten: Ich sei seltsam und verdächtig. Man merkte, dass sie ihre Aussagen geprobt hatten.
    Im Zeugenstand kam mir meine Hauptvernehmerin, Rita Ficarra, viel kleiner vor als auf dem Polizeirevier. Mittleren Alters, mit stumpfem, schulterlangem braunem Haar, wirkte sie, als könnte man mit ihr reden. Wer würde glauben, dass sie mich schonungslos stundenlang verhört hatte und mir nicht abnehmen wollte, dass ich nicht wusste, wer Meredith ermordet hatte? Ich fragte mich, wieso mir diese Frau, die ich jetzt in jeder Hinsicht durchschnittlich fand, solche Angst eingeflößt hatte.
    Wie Napoleoni behauptete auch Ficarra hartnäckig: »Niemand hat sie geschlagen.« Sie brachte ihre Aussage gelassen vor, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Alle haben sie nett behandelt«, erläuterte Ficarra. »Wir haben ihr Tee gebracht. Ich selbst bin mit ihr am Vormittag nach unten gegangen, damit sie etwas zu essen bekam«, sagte sie, als wäre sie die Wirtin eines Bed and Breakfast. Dann setzte sie hinzu, ich sei »diejenige gewesen, die hereingekommen ist, sich merkwürdig benommen und Leute beschuldigt hat«.
    In ihrer Geschichte war ich der verrückte Gast.
    Als man Raffaele am 5. November in die questura gerufen hatte, war ich mitgekommen, weil ich Angst gehabt hatte, in seiner Wohnung allein zu bleiben. Ficarras Interpretation war nicht gerade wohlwollend. »Sie ist einfach zu uns gekommen«, sagte sie. »Niemand hat sie dazu aufgefordert.«
    Sie erzählte den Schöffen, bei ihrer Rückkehr in die questura gegen elf Uhr abends seien sie und ihre Kollegin durch die Tür in die Eingangshalle gekommen. »Dort traf ich auf Amanda … Zu meinem Erstaunen war sie gerade dabei, ihre gymnastischen Fähigkeiten vorzuführen. Sie schlug Rad, ging in die Brücke und machte einen Spagat«, sagte Ficarra. »Ich fand das ehrlich gesagt unangebracht.«
    Ficarra erwähnte nicht, dass der silberhaarige Polizist mich gebeten hatte, ihm zu zeigen, wie biegsam ich war. Heute kann ich nicht glauben, dass ich damals eingewilligt habe, als wäre es nichts gewesen.
    Je länger Ficarra aussagte, desto mehr erweckte sie den Anschein, dass der Druck, den die Polizei auf mich ausgeübt hatte, damit ich gestand, nur ein Produkt meiner Fantasie war, dass ich das Verhör künstlich hochgespielt hatte. »Letztendlich war es ein ruhiges Zwiegespräch, weil ich ihr begreiflich zu machen versuchte, dass wir auf Zusammenarbeit aus waren«, sagte sie.
    »Anfangs hat sie bestritten, in der

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