Zeit, gehört zu werden (German Edition)
unschwer vorstellen, wie Amanda, wütend auf die Engländerin wegen deren wachsender Kritik an Amandas sexueller Ungeniertheit, Mez für ihre Zurückhaltung tadelte. Versuchen wir, es uns vorzustellen – sie hat sie beleidigt. Vielleicht hat sie gesagt: ›Du warst eine kleine Heilige. Jetzt werden wir’s dir zeigen. Jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als Sex zu haben.‹«
Er ist pervers! Wie ist er bloß auf ein derart krankes Szenario gekommen? Er stellt mich als Psychopathin dar! Darf Mignini mir Worte in den Mund und Gedanken in den Kopf legen? Ich würde niemals jemanden zum Sex zwingen. Ich würde niemanden bedrohen oder verspotten.
»Die junge Engländerin lag noch immer auf den Knien, den Kopf zum Kleiderschrank gedreht«, fuhr Mignini fort. »Rudy war links von Mez. Raffaele trat hinter sie und versuchte, ihr den berüchtigten BH-Verschluss abzureißen. Schließlich gelang es ihm, ihn abzuschneiden. Amanda war vor Mez, mit dem Rücken zum Kleiderschrank. Sie schwang das Messer von unten nach oben, die Spitze auf Merediths Hals gerichtet. Raffaele zog ebenfalls sein Messer, um Mez damit von rechts zu bedrohen und zu verletzen.«
Hatte ich anfangs vor Wut gekocht, so war ich jetzt nur noch fassungslos. In dem gesamten elfmonatigen Prozess war nur von einem einzigen Messer die Rede gewesen. Nachdem der Nachweis erbracht worden war, dass es sich bei dem Küchenmesser nicht um die Mordwaffe handeln konnte, erfand Mignini nun ein zweites Messer – ein Messer, das niemals gefunden oder auch nur erwähnt worden war. Tatsächlich hatte die Polizei Raffaeles gesamte Küchenmesser-Kollektion beschlagnahmt. Auf keinem hatte sich auch nur eine Spur von Blut oder von Merediths DNA gefunden, und ihre Wunden konnten nicht von den zweischneidigen Klingen stammen. Doch nun behauptete Mignini auf einmal, Raffaele habe ein anderes Messer benutzt, das er sodann irgendwie beiseitegeschafft habe. Ich wusste, warum. Damit hatte er nicht nur eine Erklärung für die Wunden, die nicht von dem Küchenmesser herrühren konnten, sowie für den blutigen Abdruck auf Merediths Bettlaken; der Staatsanwalt musste Raffaele auch ein Messer in die Hand legen. Sonst hätte Raffaele bei dem Mord keine Rolle gespielt.
Mignini sprach weiter. »Angesichts des Widerstands des Opfers und des wachsenden Zorns der Angreifer, die erkannten, dass die junge Engländerin sich nicht fügen und die Vergewaltigung einfach über sich ergehen lassen würde, musste das Spiel nun jedoch ein Ende finden. Amanda brachte Mez die Wunde an der rechten Seite des Halses bei und versuchte, ihre Freundin zu erdrosseln … Das ist eine plausible Rekonstruktion. Offensichtlich ist es eine Hypothese … Wahrscheinlich hat Mez, die erkannte, dass die Gewalt nicht aufhören würde, in diesem Moment jenen schrecklichen, verzweifelten Schrei ausgestoßen … Amanda brachte ihr die tiefste Wunde bei, die auf der linken Seite … Mez brach zusammen und fiel auf die rechte Seite. Einer der Angreifer, wahrscheinlich Raffaele, suchte nach den Handys des Mädchens und legte dazu eines der Messer aufs Bettlaken.«
Hoffentlich hören die Leute, wie Mignini »wahrscheinlich« und »es ist eine Hypothese« sagt. Man kann niemanden auf Grundlage einer Hypothese verurteilen, die von keinerlei Beweisen gestützt wird!
Was meine Vernehmung in der questura betraf, so beschrieb Mignini die Dolmetscherin, die mich eine »dumme Lügnerin« genannt und mir befohlen hatte, »mit dem Lügen aufzuhören«, als »sehr nett«. »Ich weiß noch, wie sie sich an jenem Abend Amanda gegenüber verhalten hat.«
Dann erinnerte er an einen früheren Moment des Prozesses, als Richter Massei mich zu meiner Vernehmung befragt hatte. »Euer Ehren haben gefragt: ›Aber eine Suggestion in welchem Sinn? Haben sie Ihnen befohlen: ‚Sagen Sie, dass es Lumumba war‘? Denn das wäre eine Suggestion …‹ und Amanda hat gesagt: ›Nein. Sie haben mir nicht gesagt, dass er es war.‹ Also, was für eine Suggestion soll das sein?
Amanda hat gesagt: ›Aber sie haben mir erklärt, wir wissen, dass Sie mit ihm zusammen waren, dass Sie sich mit ihm getroffen haben.‹ Die Polizisten haben eben ihren Job gemacht … sie haben versucht, diese Frau zum Reden zu bringen … Das also war der Druck. Eine völlig normale und notwendige Ermittlungsaktivität. Es gab keine Suggestionen, denn eine Suggestion ist: Sagen Sie, dass es Lumumba war.«
Mignini wusste, wie meine Vernehmung abgelaufen war. Die Polizisten
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