Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
allen hervorragend.«
»Was sollen Sie mir ausrichten?«
»O ja, das hätte ich fast vergessen!« Er schien angestrengt nachzudenken, dann fragte er: »Du hast nicht zufällig ein paar Zigaretten dabei?«
Wilhelm griff in seine Jackentasche. Er fühlte den Stein. Langsam nahm er ihn heraus, betrachtete ihn und legte ihn auf die ausgestreckte Handfläche.
»Leider nein«, sagte er, »keine Zigaretten.«
»Und was ist das?«, fragte der Gefangene, »ein Zauberstein oder so was?«
»Ja«, antwortete Wilhelm und lächelte, »ein Zauberstein.« Dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Fangen Sie!«, sagte er und warf den Stein durch den Stacheldraht. »Geben Sie ihm den Stein, er wird ihn wiedererkennen.«
»Wiedererkennen?«
»Er stammt von seinem Weinberg, er kennt dort jeden Stein.«
Der Mann steckte den Stein in seine Hosentasche und sagteunvermittelt: »Geh zu ihr. Jetzt bist du es, der sie beschützen muss.«
Wilhelm sah ihn verständnislos an. »Das hat er gesagt«, erklärte der Mann, »das soll ich dir ausrichten. Ich weiß nicht, was es bedeutet.«
»Wo ist er?«, fragte Wilhelm.
Der Franzose deutete hinter sich. »Irgendwo da, zwischen all den stinkenden Kerlen.« Schon im Gehen fügte er noch hinzu: »Übrigens: Das mit dem Fort war ein Geniestreich – schlecht für uns, aber genial. Kompliment!« Dann tauchte er in der Menge der Gefangenen unter.
*
Die Eroberung des Forts brachte nicht die erhoffte Wende. Die Gefechte dauerten unvermindert an, mal errangen die Deutschen einige Meter Boden, dann die Verteidiger; mal verlief die Front ein Stück weiter westlich, dann weiter östlich. Dazwischen standen kein Baum und kein Strauch mehr, die Hügel waren zerfurcht und vernarbt vom pausenlosen Beschuss. Es blieb keine Zeit, die Toten zu bestatten, Verwesungsgestank hing über der Landschaft wie eine Nebelbank, die Lazarette füllten sich mit immer neuen Verletzten.
Die häufigsten Verwundungen waren nun nicht mehr Schussverletzungen, sondern Verätzungen der Lungen und der Augen. Tausende vom Giftgas erblindete Soldaten wurden mit Sonderzügen in die Heimat gebracht. Ihr Erscheinen löste dort eine Schockwelle aus, die Zeitungen empörten sich über den Einsatz der neuen Waffe. Im ganzen Land demonstrierten Frauen gegen den Krieg – an der Front attackierten Soldaten ihre Offiziere, die bei den Mannschaften immer verhasster wurden. Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten, als bekannt wurde, dass Offiziere in der Etappe Reitturniere veranstalteten, während in den Gräben ihre Männer verbluteten: Offiziere wurden nachts in ihren Quartieren von Soldaten überfallen und verprügelt.
Je größer die Wut, desto härter wurden die Gegenmaßnahmen: Strafexerzieren für Männer, die vom Kampf aus den Gräben mitverschmutzten Uniformen zurückkamen; Arrest für Schützen, die ihre Gewehre nicht vorschriftsmäßig schulterten; Todesurteile für Soldaten, die in Panik vor dem Gas flohen, das über die Gräben wehte. Die eilig errichteten Arrestzellen waren so überfüllt, dass Ersatzstrafen eingeführt wurden: eine Stunde Festbinden an Wagenrädern oder Bäumen anstelle eines Tages Haft.
Der Stoßtrupp war nach seiner kurzen Erholungspause im Dauereinsatz an wechselnden Frontabschnitten. Woche um Woche verging im immer gleichen Rhythmus. Wie in Trance marschierten sie zu den Gräben und zurück, keiner rechnete morgens damit, abends lebend zurückzukehren. Umso erstaunter waren diejenigen, die es dennoch schafften. Schlimmer als die Todesangst waren nur die Schreie der Sterbenden, die sich in den Stacheldrahtrollen verfangen hatten oder im Niemandland zwischen den Gräben lagen. Um nicht den Verstand zu verlieren, verstopften die anderen ihre Ohren mit Schlamm.
Und dann erschien eines Abends erneut Major Baldauf im Mannschaftszelt. »Seit drei Monaten wird Fort Vaux bombardiert«, erklärte er seinen Männern, nachdem sie angetreten waren, »und immer noch befindet es sich in der Hand der Franzosen. Es ist eine Schande! Wer wäre besser geeignet, diese Schmach zu beenden, als Sie, meine Herren! Es ist die letzte der großen Befestigungsanlagen – danach gehört Verdun uns, und der Weg nach Paris ist frei! Also, meine Herren: Zeigen Sie der Welt ein weiteres Mal, wozu deutsche Soldaten fähig sind!«
Die Taube
Der deutsche Kronprinz kämpfte mit den Tränen. Er hatte in den letzten sechs Monaten, seit er die 1. Armee befehligte, vielen Männern Orden verliehen, Hände geschüttelt,
Weitere Kostenlose Bücher