Zeiten des Verlangens
diese charismatische Frau eigentlich ausschließlich beruflich mit Sebastian zu tun gehabt hatte. »Und jetzt das«, sagte Jess und gab ihr den Slip.
Regina zog ihr Höschen aus und schlüpfte so schnell sie konnte in das neue. Nur einmal blickte sie auf, um sicherzustellen, dass Jess nicht zusah.
Sie sah zu.
»Strumpfhalter.« Jess hielt ihr das merkwürdige Ding hin.
Regina nahm ihn und sah ihn verständnislos an.
»Ich habe keine Ahnung …«
Jess nahm ihn ihr wieder ab und stellte sich vor sie. Dann befestigte sie ihn um Reginas Taille und zog ihn nach unten, sodass er auf ihren Hüften saß. Die Bänder baumelten an ihren Oberschenkeln wie Tentakel.
»Ziehen Sie die Strümpfe an, und ich befestige sie.«
Regina setzte sich aufs Bett und vergaß vor Konzentration ihre Unsicherheit. Vorsichtig zog sie die Strümpfe Stück für Stück an ihrem Bein hoch. Dann stellte sie sich hin, und Jess ging in die Knie und befestigte die vier Halter an den Strümpfen, jeweils vorn und hinten.
»Unglaublich.« Jess flüsterte es fast. Dann: »Warum sehen Sie sich nicht im Spiegel an?«
»Nein, ist schon in Ordnung«, murmelte Regina – obwohl sie insgeheim neugierig war.
Jess hielt ihr das schwarze Kleid hin, sodass sie hineinsteigen konnte.
»Umdrehen.« Jess zog den Reißverschluss zu.
»Endlich – geschafft«, seufzte Regina.
»Fast.« Jess stellte ihr die Highheels hin, und Regina stieg vorsichtig hinein. Sie kam sich vor wie ein schlechtes Aschenputtel.
Dann blickte sie in den Spiegel und erkannte nichts von dem, was sie vom Hals abwärts sah.
»Darf ich noch eine letzte Empfehlung geben?«, fragte Jess.
»Äh, klar«, murmelte Regina. Jess reichte ihr einen Lippenstift. Die Hülle war schwarz und fast gummiartig, NARS stand in Weiß darauf. Regina zog den Deckel ab und betrachtete den frischen Lippenstift in mattem Tiefrot.
»Hat er den auch für mich bereitgelegt?«, fragte Regina neugierig. Jess antwortete nicht, sondern wartete, dass sie ihn auflegte. Es war lange her, dass Regina das letzte Mal Lippenstift getragen hatte – bei ihrem Schulabschlussball. Sie war mit Robert Weller hingegangen, ihrem Kollegen aus der Redaktion der Meinungsseite der Zeitung. Später, als die Party in Samantha Sinclairs Strandhaus fortgesetzt wurde, hatte sie darauf gewartet, dass Robert sie auf dem dunklen, mondbeschienenen Strand küsste. Stattdessen hatte er ihr eröffnet, dass er schwul war.
Reginas Hand zitterte, und sie musste sich erst konzentrieren, bis sie den kräftigen Farbton auftragen konnte. Doch dann war sie erstaunt, wie gut die roten Lippen ihre blauen Augen zur Geltung brachten.
Lächelnd trat sie einen Schritt zurück und reichte Jess den Lippenstift.
»Behalten Sie ihn«, meinte sie. »Sie sehen heiß aus. Jetzt aber los. Sebastian ist nicht gerade der Geduldigste.«
❊ ❊ ❊
Regina stakste auf ihren Absätzen durch die Lobby des Four Seasons und machte zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, dass man ihr nachsah. Erst dachte sie, es läge an ihrem Gang, der an die ersten Gehversuche einer neugeborenen Gazelle erinnerte. Doch dann erhaschte sie den Blick eines Geschäftsmannes und entdeckte etwas darin, das ihr noch nie gegolten hatte: Verlangen.
Abgelenkt durch diese Aufmerksamkeit, die unbekannte Lobby und die vollkommen ungewohnte Kleidung wäre Regina beinahe in Sebastian hineingelaufen.
»Jetzt hätte ich dich fast nicht gesehen«, sagte sie und blieb stehen.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Regina fiel ein, dass er ja wusste, was sie unter diesem Kleid trug, und eine Welle der Verlegenheit schwappte über sie hinweg. Sie wartete auf einen Kommentar zu ihrem Äußeren, aber er sagte nichts und sah sie nur unverwandt mit diesem bohrenden Blick an.
Dann langte er nach der Old-Navy-Tasche, die sie noch immer bei sich trug, und streifte sie ihr von der Schulter.
»Die ist abscheulich, weißt du das?«
»Nun, das ist eine Frage des Geschmacks. Und sie erfüllt ihren Zweck.«
Er musterte sie ohne Tasche, schien zufrieden und bot ihr den Arm an. Sie sah zu ihm auf, dann hakte sie sich ein, als würde er sie zu einem Debütantenball führen. Sie war davon ausgegangen, dass er sie ins Hotelrestaurant führen würde, stattdessen ging es wieder nach draußen.
»Wir essen gar nicht hier?«
»Nein«, sagte er. »Mein hiesiges Lieblingsrestaurant hat dieses Jahr geschlossen – das L’Atelier de Joël Robuchon«, erklärte er und lächelte sie an. »Aber nur keine Sorge – in dieser
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