Zeiten des Verlangens
nicht so richtig …«
»Sieh es dir heute vor dem Schlafengehen an.«
Regina trank noch einen Schluck von ihrem Wein. »Warum stehst du so auf Bettie Page?«
Er tat, als würde er seine Antwort sorgsam erwägen, obwohl er sie eindeutig schon parat hatte.
»Ich finde sie – und ihre Wirkung auf Leute – faszinierend. Dass sie zu ihrer Zeit berühmt war, ist kein Wunder: Nur wenige Frauen haben damals posiert wie sie, nicht wahr? Aber warum übt sie noch immer diese Faszination aus? Nackte Frauen sind doch heute überall. Die Fotos, die man im Netz sieht, sind viel anrüchiger als all ihre Bilder. Viele Frauen sind schöner. Und doch ist Bettie Page bis heute einzigartig.«
Er sprach sehr lebhaft, und plötzlich konnte sich Regina viel besser vorstellen, dass er Fotograf war. Das hier war seine Leidenschaft. Er liebte die Fotografie wie sie ihre Bücher.
Regina wünschte, sie könnte ihn mit einem literaturkritischen Kommentar über die Semiotik von Bettie Page verblüffen. Aber leider hatte sie vor Alex’ Kommentar über ihre Frisur noch nie von ihr gehört.
»Ich möchte, dass du das ernst nimmst«, sagte Sebastian plötzlich und blickte ihr fest in die Augen. Regina holte tief Luft. »Ich wollte dich nicht ausführen, um blöden Smalltalk zu betreiben. Und entgegen deiner Vermutung auch nicht, um dich zu ficken – obwohl ich darüber nachdenke, Regina.«
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie musste den Blick abwenden. Ein Teil von ihr wünschte, er würde aufhören zu reden, ein anderer wartete gebannt auf mehr.
»Stört es dich, dass ich das sage?«, erkundigte er sich.
»Nein«, flüsterte sie fast unhörbar.
»Du siehst mich mit diesen großen blauen Augen an, und ich weiß nicht, ob du einfach nur schüchtern bist oder mich im Stillen verurteilst«, gestand er ihr.
Sie sah ihn erstaunt an. »Warum sollte ich dich verurteilen?«
»Du hast schon an dem Tag dein Urteil über mich gefällt, als du mich beim Ficken mit der Frau in der Bibliothek gesehen hast.«
Seine beiläufige Verwendung des Wortes Ficken ließ sie zusammenzucken.
»Na ja. Ich halte die Bibliothek eben nicht für den geeigneten Ort für diese Dinge …«
»Darf ich dir etwas sagen?«, fragte er, und etwas an seinem Ton und der Art, wie sein Blick kurz von ihren Augen zu ihren Lippen und wieder zurück wanderte, bewirkte, dass sie sich am ganzen Körper anspannte.
»Okay«, flüsterte sie.
»Ich denke daran, dich in dieser Bibliothek zu ficken.«
Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie blickte auf den Tisch. Und dann fühlte sie es zwischen den Beinen: ein erschreckendes, pulsierendes Verlangen.
❊ ❊ ❊
Nach dem Essen wartete der Mercedes vor dem »Daniel« auf sie. Sie bogen nach Westen und fuhren die Seventh Avenue hinunter.
»Wohin fahren wir?«, wollte Regina wissen.
»Ich bringe dich nach Hause«, erklärte Sebastian. Regina versuchte, nicht enttäuscht zu sein.
»Brauchst du dann nicht meine Adresse?«
»Aber die habe ich doch schon.«
»Was?« Der Zauber des Weins, der schicken Kleider und des ganzen Geredes über Sex war mit einem Mal verflogen. »Woher hast du meine Adresse?«
»Aus dem Büro der Bibliothek.«
»Aber die können meine Adresse doch nicht einfach irgendwelchen Leuten geben!«
»Ich bin nicht ›irgendwer‹, Regina. Man kennt mich dort.«
»Darum geht es nicht!«
»Findest du, das geht zu weit?«, fragte er, und sein Blick verriet ihr, dass er nicht über die Adresse sprach.
»Es gehört sich einfach nicht«, erklärte sie.
Er schien zu überlegen und nickte langsam. »Ich weiß, ich trete manchmal etwas forsch auf«, erwiderte er. »Und es liegt mir nicht, um Erlaubnis zu bitten.« Er nahm ihre Hand, und sie schaute ihm in die Augen. Sein Blick berührte sie auf eine ungekannte Art. »Das solltest du wahrscheinlich über mich wissen, wenn wir Zeit miteinander verbringen wollen.«
Bei diesen Worten löste sich ihr Ärger in Luft auf. Sie würden Zeit miteinander verbringen.
Als der Wagen vor ihrem Haus hielt, brachte sie gerade noch ein »Danke für das Essen« heraus.
Er nahm ihre Hand, und seine Berührung war schwer und warm. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt.
»Ich habe es ernst gemeint, dass du dir heute Nacht das Bettie-Page-Buch anschauen sollst. Ich möchte wissen, was du denkst. Ich möchte dich kennenlernen, Regina.«
»In Ordnung«, sagte sie. Wieder sah er ihr fest in die Augen. Unter seinem dunklen unverwandten Blick spürte sie, dass sie ein wichtiges
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