Zeiten des Verlangens
vor.
»Ich steige nicht ins Auto.«
Er blickte um sich, und ganz offensichtlich war ihm gar nicht wohl dabei.
»Es wird nicht leicht sein, hier auf der Straße zu reden.« Wie um seine Worte zu bestärken, rempelte ein Mann im Anzug Regina mit seiner Tasche an.
»Ich nehme das Risiko auf mich, von Pendlern niedergetrampelt zu werden«, erklärte sie.
»Du vielleicht schon.« Er lächelte leicht, und tief in ihrem Inneren zog sich etwas zusammen. Der Himmel stehe ihr bei, sie liebte ihn.
Doch sie bewahrte eine undurchdringliche Miene.
Er sah sich erneut um und fuhr sich durchs Haar. Sie folgte seinem Blick und sah, dass sein Fahrer um den Block gefahren war und nun zwischen Fifth Avenue und Madison in der Zweiundvierzigsten wartete. »In Ordnung«, sagte er. »Du hast gewonnen. Wir reden hier.«
Er fasste sie beim Ellbogen und steuerte mit ihr auf die Gebäudefront zu. Sie lehnte sich an ein Ladenfenster und sah erwartungsvoll zu ihm auf.
»Mein Vater hat meine Mutter wegen eines einundzwanzigjährigen Models verlassen – eines Mädchens, das gerade mal drei Jahre älter war als ich. Anfangs habe ich sie gehasst, doch irgendwann haben wir uns versöhnt, und dann wurden wir Freunde. Sie hat mich zu Shootings mitgenommen, und da fing ich an, mich für die Fotografie zu interessieren. Sie war super geduldig und hat mich an sich üben lassen. Doch letztlich hat sie meinen Vater verlassen – wegen einem Fotografen, welch Ironie. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Schaden bereits angerichtet, und meine Mutter, die nie über seine Affäre und die Scheidung hinweggekommen war, hat sich umgebracht.«
»Wer war das Model?«, wollte Regina wissen. Bilder von Sebastians Ausstellung in der Galerie stürmten auf sie ein wie eine unwillkommene Flut, und sie kannte die Antwort, bevor er den Mund aufmachte.
»Astrid Lindall.«
Die Worte, die ihre schlimmsten Unsicherheiten bezüglich ihrer Beziehung bestätigten, trafen sie wie ein Donner schlag. Sebastian kam aus einer völlig anderen Welt, und sein Interesse an ihr konnte nicht mehr als ein flüchtiges sein.
»Ich danke dir für die … äh … Information. Ehrlich. Ich wünschte, du hättest mir das gesagt, als wir noch stundenlang im Bett sitzen konnten und reden. Uns kennenlernen. Aber jetzt weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll.«
Taxis hupten, Passanten drängten an ihnen vorbei und Hitze und Schwüle lasteten noch immer wie ein Mantel auf ihr. Aber sie wollte sich nicht bewegen. Sie wollte nicht, dass er ging. Und ganz bestimmt wollte sie nicht in die Subway und nach Hause fahren, um sich eine weitere Nacht nach ihm zu verzehren. Wem machte sie hier etwas vor? Glaubte sie ernsthaft, ihre Entschlossenheit und Eigenständigkeit würden nicht wie Dominosteine zusammenfallen, solange sie nur nicht in sein Auto stieg?
»Weiterreden. Mit mir zusammen Abend essen.«
Sie wollte kein Abendessen. Sie wollte das süße Brennen eines Seils an ihren Handgelenken spüren, die kalte Luft des Raums, den sie noch nie gesehen hatte, den brennenden Schmerz an den Schenkeln, die explosive Erlösung durch seinen Schwanz zwischen ihren Beinen.
Regina wandte sich ab und ging auf den Eingang der Subway zu.
»Warte!« Er fasste sie beim Arm, und sie ließ sich aufhalten. »Du willst es nicht weiterführen, in Ordnung. Das muss ich akzeptieren. Aber schieb mich nicht ab, als hätte ich etwas Falsches getan. Ich habe dich nie angelogen. Ich habe dich nicht sitzen gelassen. Du bist nur wütend, weil du glaubst, dass ich dir nicht geben kann, was du willst.«
»Kannst du das denn?«
»Ich weiß es nicht.« Bei diesem Geständnis sah er noch trauriger aus als sie. »Aber ich bin hier, um zu reden, weil ich es versuchen will.«
»Wie versuchen?«
»Ich weiß es nicht«, wiederholte er. »Sagtest du nicht, du wolltest reden?«
»So einfach ist das nicht«, erwiderte Regina. »Außerdem glaube ich, dass ich dir vielleicht nicht geben kann, was du willst.«
»Doch, das tust du.«
»Noch«, sagte sie.
»Redest du vom Fotografieren?«
Sie biss sich auf die Lippe. Sich das einzugestehen fiel ihr schwer. »Kannst du denn sagen, dass es dir egal ist? Dass du mit einer Frau zusammen sein kannst, die kein Interesse daran hat, deine Muse zu sein?«
»Aber du irrst dich, Regina. Du bist meine Muse. Ich denke jedes Mal an dich, wenn ich den Auslöser drücke. Ich sehe dich in jedem Gesicht – in jeder Frau –, die ich fotografiere. Die Oktoberausgabe von W hätte deinen Namen auf dem
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