Zentauren-Fahrt
»Der König kann die Königin in eine Maus verwandeln. Die läuft durch eine Ritze hinaus in den Gang, dann verwandelt er sie zurück, und sie öffnet die Zellen von außen. Sollten Wächter anwesend sein, kann er die Königin auch in ein tödliches Ungeheuer verwandeln, das sie beseitigt.«
Wirklich äußerst einfach! Warum hatte Dor nur nicht daran gedacht?
Wie es für ihr Geschlecht so typisch war, wechselte Irene sofort ihre Stimmung und wurde praktisch. »Wer befindet sich in der Zelle, die der Außenmauer am nächsten ist?«
»Die Königin?« Grundy furchte die Stirn. »Ich glaube, daß sie die einzige ist, die wir mit unserem magischen Feld erreichen. Die Mauern dort sind ziemlich dick.«
»Also kann mein Vater wahrscheinlich niemanden verwandeln«, folgerte Irene.
O weh! Dor überlegte fieberhaft, um zu einer anderen Lösung zu finden. »Die Königin besitzt eine machtvolle Magie. Es müßte eigentlich möglich sein, daß sie alle mit Hilfe der Illusionsmagie befreit. Sie kann die Wachen dazu bringen, daß sie leere Zellen sehen, so daß sie die Türen öffnen, um nachzusehen. Dann kann sie ein Monster erzeugen, das sie davonjagt.«
»Da gibt es einige Probleme«, warf Arnolde ein. »Der Durchgang ist, wie Ihr wißt, ziemlich schmal. Die Illusion hat außerhalb seiner Reichweite keinen Bestand. Da sich zwei Zellen außerhalb des magischen Feldes befinden…«
»… hat die Königin mit ihren Illusionen nur einen sehr begrenzten Spielraum«, beendete Dor den Satz. »Darüber müssen wir sie vorher aufklären. Wenn sie etwas Zeit hat, um sich vorzubereiten, müßte sie es eigentlich schaffen.«
»Bin schon unterwegs«, sagte Grundy. »Was würdet ihr nur alle ohne mich machen!«
»Wir können auf keinen verzichten«, erwiderte Dor. »Das haben wir bereits feststellen können. Wenn wir voneinander getrennt werden sollten, sitzen wir wirklich in der Tinte.«
Bei Nachtanbruch schlichen sie sich an die Burg heran und versuchten, sich möglichst nahe an der Stelle aufzustellen, die der Golem ihnen beschrieben hatte. Wieder gab es keinen Graben, nur ein Glacis, so daß sie eine Art Steinhügel emporklettern mußten, der zum Fuß der Mauer führte. Dor konnte sich lebhaft vorstellen, wie stark die Mauer sein mußte, wenn man ihre massive Basis mit berücksichtigte.
Burg Ocna befand sich im Alarmzustand; man erwartete den Angriff der Khazaren, und auf den Zinnen und Mauern flackerten Fackeln. Doch Dors Gruppe nahm nicht den herkömmlichen Weg und konnte unbemerkt vordringen. Leute, die in Burgen leben, neigten dazu, sich von den Ereignissen der Außenwelt zu isolieren und zu vergessen, wie wichtig ihre unmittelbare äußere Umgebung sein konnte. Dor überlegte, daß dies auch für das ganze Land Xanth gelten mochte; nur wenige seiner Bewohner wußten irgend etwas über Mundania oder waren daran interessiert, etwas darüber zu erfahren. Der Handel zwischen den beiden Reichen, der bisher den Launen des Zufalls ausgeliefert gewesen war, mußte auf jeden Fall in Schwung gebracht werden, und sei es auch nur um eines mehr kosmopolitischen Bewußtseins willen. König Oary war offenbar, zum Nachteil seines Reiches, am Handel nicht sonderlich interessiert; er betrachtete die Besucher aus Xanth als Bedrohung seines Throns. Was schließlich auch stimmte – immerhin war er ja ein Thronräuber.
»Wir können leider nicht alles genau im voraus planen«, sagte Dor bei einer letzten Lagebesprechung. »Ich hoffe, daß es der Königin gelingt, eine Illusion zu erzeugen, die die Wachen dazu bewegt, sie freizulassen, damit sie danach die anderen befreien kann.«
»Es dürfte ihr Spaß machen, so zu tun, als wolle sie einen der Wächter verführen«, meinte Irene. »Sie wird sich als hübscheste Maid in ganz Mundania ausgeben, und wenn der Mann sich dem Trugbild näherte, verwandelt sie sich in einen Drachen und erschrickt ihn zu Tode. Geschieht ihm dann auch recht.«
Dor lachte leise. »Ich glaube, ich weiß, wie so etwas funktioniert.«
In gespieltem Zorn wirbelte sie zu ihm herum. »Du hast doch noch nicht mal die ersten Anfänge davon mitbekommen!« Aber es gelang ihr nicht, ihren mürrischen Gesichtsausdruck beizubehalten. Statt dessen verpaßte sie ihm einen Kuß.
»Die Dame scheint eine faire Warnung ausgesprochen zu haben«, bemerkte Arnolde. »Ihr werdet den Drachen erst dann zu Gesicht bekommen, wenn Ihr im sicheren Hafen der Ehe seid.«
»Das weiß er schon«, meinte Irene selbstzufrieden. »Aber Männer
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