Zentauren-Fahrt
»Läßt du mich jetzt endlich los?«
Dor erblickte das Boot und ließ den Stein zufrieden fallen. Der plumpste mit einem ebenso zufriedenen dumpfen Stöhnen auf den Boden und blieb in seliger Trägheit liegen. Steine waren im Prinzip recht faul; von allein taten sie so gut wie nie etwas.
Er schritt zu dem Boot hinüber. Es war ein Holzboot mit einem recht angestoßenen Doppelpaddel – genau das, was er brauchte. Dor entfernte sich wieder.
»He, willst du mich gar nicht benutzen?« wollte das Boot wissen. Eigentlich durften Gegenstände nur dann reden, wenn Dor es wollte, aber sie neigten dazu, ziemlich nachlässig mit den Regeln umzuspringen.
»Nein. Ich hole meinen Freund, den Zombie.«
»Ach so, klar. Von der Sorte haben wir hier eine ganze Menge. Sie machen sich gut beim Düngen.«
Als Dor außer Sichtweite war, blieb er stehen und kauerte sich nieder, um sich mit Erde zu beschmieren: sein Gesicht, seine A r me und seine königlichen Gewänder. Natürlich hätte er sich für diese Reise eigentlich etwas Praktischeres anziehen sollen, aber auch das war Teil seiner allgemeinen Nachlässigkeit. Er hatte ü berhaupt nichts vorausgeplant.
Dann suchte er sich einen spitzen Stein und benutzte ihn, um in seinen Kleiderstoff hineinzustechen. »Aua! Autsch!« jammerte der Umhang. »Was habe ich dir nur getan, daß du mich derart schnöde metzelst?« Doch der Stein gluckste nur hämisch. Er liebte es, Kle i der zu zerfetzen.
Nach kurzer Zeit bot Dor das Bild eines völlig zerlumpten Me n schen. Er schaufelte einige Handvoll Erde in eine Falte seines Umhangs und schritt zurück zum Schloß. Im Gehen schlurfte er mit den Füßen dicht über den Boden, wie es die Zombies zu tun pflegten, und ließ kleine Erdklumpen auf den Boden fallen.
Dann bestieg er das Boot. »Ooooooohhhh«, stöhnte er wonn e voll. »Hoffentlich schaff ich’s noch nach Hause, bevor ich völlig zerfalle.« Er stieß sich mit dem Paddel vom Ufer ab. Er benahm sich absichtlich ziemlich ungeschickt, obwohl er sich mit Booten ja tatsächlich nicht auskannte und sich ohnehin wohl recht tapsig aufgeführt hätte, auch wenn er anders gewollt hätte. Das Wasser schmatzte und schlürfte, als er das Paddel in den Schleim tauchte.
Da waren kleine Wellen zu sehen, als sich das Zombieseeung e heuer in Bewegung setzte. Der Schleim teilte sich, und der riesige, scheckige, verfaulte Kopf durchstieß die zähe Oberfläche. Schlamm- und Schleimtropfen fielen auf ekelerregende Weise he r ab. Das gewaltige, schwammige Maul wurde aufgesperrt und zeigte Dutzende von losen braunen Zähnen in einem fast fleischlosen Kiefer.
»Hallo, Freund!« rief Dor röchelnd. »Kannst du mich zu meinem Meister führen?« Während er sprach, ließ er einen feuchten Klu m pen Erde herunterplumpsen, damit es so aussähe, als würde ihm die Lippe abfallen.
Das Ungeheuer zögerte. Sein bizarrer Kopf schwang herum, um Dor zu begutachten. Sein linker Augapfel löste sich, fiel herab und baumelte an einer glitzernden Sehne hin und her. »Sooooo?« fragte das Zombiewesen und stieß beim Atmen einen Gestank wie von verdorbenem Limburger Käse aus.
Dor wedelte mit den Armen und ließ noch mehr Erdklumpen fallen. Ein besonders schönes Exemplar traf das Ungeheuer mit einem dumpfen Quetschlaut auf der Nase. Er bedauerte, daß er leider nichts wirklich Widerwärtiges hatte aufstöbern können, etwa eine von Maden durchsetzte tote Ratte, aber so spielte das Schic k sal eben. »Woooooooo?« fragte er, jeder Zoll genauso dumm wie ein echter Zombie. Der große Vorteil beim Sichdummstellen b e stand darin, daß man dazu keiner allzu großen Intelligenz bedurfte. Er schlug sich gegen das rechte Ohr und ließ ein weiteres Stück Erde fallen, ganz so, als sei es ein Stück von seinem Gehirn.
Endlich begriff die Schlange. »Daaaaaaa«, hauchte sie und spuc k te dabei Knochen- und Zahnsplitter aus. Ihre Schnauze schien von feuchtem Brand im fortgeschrittenen Stadium befallen zu sein, und die verbliebenen Zähne stützten sich bröckelnd an ihrer Karies ab.
»Dnnnnkkkkke«, erwiderte Dor und ließ noch ein Stückchen E r de ins Wasser fallen. Er nahm das Paddel wieder auf und steuerte ächzend das Schloß an. »Hoffentlich falle ich nicht auseinander, bevor ich angekommen bin.«
Die erste Runde hatte er gewonnen. Die Seeschlange war in ziemlich schlechter Verfassung, wie die meisten Zombies, doch sie hätte das Boot ohne Schwierigkeiten zum Kentern bringen und Dor im Schleim ertränken können. Wenn
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