Zentauren-Fahrt
Wasseroberfläche. Ein kalter Windstoß zerzauste Irenes Haar und preßte ihr Kleid gegen ihren Körper, was sie äußerst hübsch anz u sehen machte. Der Himmel verdunkelte sich.
»Er meint, bildlich gesprochen, daß du keine schlechte Figur hast«, meldete ihr Grundy mit einem hämischen Grinsen.
Dieses unpassende Kompliment brachte sie aus der Fassung. Es war nicht leicht, jemandem einen Korb zu geben, der eine solche Bemerkung gemacht hatte. »Hm, na ja, schon gut«, sagte sie schmollend. »Die Hälfte der Samen. Aber ich bestimme, welche Hälfte!«
»Na, dann schmeiß sie endlich ins Wasser, Blödianin!« sagte Grundy, der sich am Rand des schaukelnden Floßes festhielt.
»Aber dann werden sie doch keimen!«
»Darum geht’s ja gerade. Laß sie alle wachsen. Benutz deine M a gie. Der eklektische Aal verlangt Vorauskasse.«
Irene warf ihm zwar einen rebellischen Blick zu, doch da platzte auch schon der erste Regentropfen auf ihrer Nase, und sie en t schied sich dazu, einzuwilligen. »Das zahle ich deiner Bindfade n haut noch heim, Golem!« murmelte sie. Sie schleuderte die Samen einzeln nacheinander ins wogende Wasser, indem sie sie beschwor: »Wachse, wie das Ego deines Golems! Wachse, wie Grundys Wa s serkopf! Wachse, wie die Rache, die ich diesem Stinker noch schuldig bin…«
Im Wasser entwickelten sich höchst seltsame Dinge: Rosa Ru n kelrüben keimten und drehten auf der Stelle ab: Gelbtomaten, Schwarzkohl und blaue Beete. Schnappbohnen schnappten frö h lich um sich, und Artischocken verpaßten ihrer Umgebung artig Schocks. Dann kamen die Blumen an die Reihe: Weiße Blüten sprangen in dichten Sträußen an die Oberfläche und verzierten das Meer im unmittelbaren Umkreis des Floßes. Dann schwammen sie in großen Herden davon und stießen leise Bäääähäähääs aus.
»Was war das denn?« fragte Grundy.
»Schafgarbe, du Dösbartel«, fauchte Irene.
Feuerwerkblumen platzten mit rotem Sprühen, Tigerlilien fauc h ten, Maiglöckchen läuteten, und Blutende Herzen färbten das Wasser mit ihrem traurigen Lebenssaft. Iris-Blüten, die Irene von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte, blühten in hübschem Blau und Purpur. Glücksklee streckte sich glücklich gen Himmel, Schwindelien blühten auf und verschwanden auch schon, bevor man ihnen auch nur befehlen konnte, sich davonzumachen. I m mergrüns zwinkerten ihnen aus grünen Augen zu; Krokusse öffn e ten ihre Krokodilmäuler, um ihnen falsche Küßchen zuzuwerfen.
Das Schauspiel endete mit dem Aufblühen goldener Kringel – Ringelblumen. »So, das ist die Hälfte. Nimm’s oder laß es bleiben«, sagte Irene.
»Der Aal nimmt es«, meldete Grundy. »Jetzt wird uns der eklekt i sche Aal auf seine Weise durch den Sturm an die Küste führen.«
»Wird auch Zeit«, meinte Chet. »Alles festhalten, wir haben eine schwere Überfahrt vor uns.«
Der Aal zappelte voran. Das Gefährt folgte ihm. Mit feuchter Wildheit schlug der Sturm zu. »Was hast du gegen uns?« fragte Dor, während der Wind an seinem Leib riß.
»Nichts Persönliches«, wehte der zurück. »Meine Aufgabe ist es, die Meere von Treibgut zu säubern. Kann schließlich nicht alles die Wasseroberfläche verstopfen lassen, nicht wahr?«
Der Regen prasselte immer heftiger auf sie herab. Im Nu waren sie völlig durchnäßt. »Wasser schöpfen! Wasser schöpfen!« erscholl Chets Stimme dünn im Wind.
Dor griff nach seinem Eimer und begann, Wasser auszuschö p fen. Auf der anderen Seite tat Krach der Oger dasselbe. Mit kolo s salen Anstrengungen gelang es ihnen, ein wenig schneller als der Regenguß zu sein.
»Runter mit euch!« schrie Grundy und übertönte den Sturm. »Laßt sie nicht überrollen.«
»Sie rollt doch gar nicht«, erwiderte Irene. »Ein Floß kann gar nicht…«
Da senkte sich das Floß entsetzlich schräg und schickte sich an, sich herumzuwälzen. Irene warf sich in die Mittenvertiefung, z u sammen mit Dor und Krach. Das Floß senkte sich übelkeitserr e gend nach rechts, dann wieder nach links und schleuderte Irene erst gegen Dor, dann Dor gegen sie. Sie war wunderbar weich.
»Was tust du da?« schrie Dor, weil ihm trotz des weichen Au f pralls die Puste ausging.
»Ich giere«, erwiderte das Floß.
»Sieht mir mehr nach Rollen und Schlingern aus«, brummte Chet vom Heck herüber.
Irene landete wieder neben Dor, Hüfte an Hüfte und Nase gegen Nase. »Liebster, wir müssen damit aufhören, uns auf diese Weise zu treffen«, keuchte sie und versuchte ein
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