Zerstöre mich
als ich erfahren habe, dass mein Sohn tatsächlich einmal etwas richtig gemacht hat. Dass er endlich gehandelt und einen verräterischen Soldaten liquidiert hat, der Vorräte aus unseren Lagern gestohlen hat. Ich habe gehört, dass du ihn direkt in die Stirn geschossen hast.« Er lacht. »Ich habe mich selbst beglückwünscht – habe mir gesagt, dass du endlich zu dir gefunden und gelernt hast, ein wahrer Führer zu sein. Ich war beinahe stolz auf dich.
Deshalb war es ein umso größerer Schock für mich, als ich erfuhr, dass Fletchers Familie noch am Leben war.« Er schlägt die Hände zusammen. »Das ist vor allem deshalb schockierend, weil gerade du über die Vorschriften im Bilde sein solltest. Verräter stammen aus einer Familie von Verrätern, weshalb auch alle Angehörigen vernichtet werden müssen.«
Er legt mir die Hand auf die Brust.
Ich errichte wieder Mauern im Geiste. Weiße Wände. Betongebäude. Große leere Räume.
Nichts ist in mir. Nichts bleibt in mir.
»Wirklich seltsam finde ich aber«, fährt er fort, »dass ich mir vornahm abzuwarten, bis ich persönlich mit dir darüber sprechen kann. Und dieser Augenblick ist doch ausgesprochen passend, nicht wahr?« Ich höre sein Lächeln. »Um dir mitzuteilen, wie ungemein … enttäuscht ich bin. Obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich überrascht wäre.« Er seufzt. »In einem einzigen Monat ist es dir gelungen, zwei Soldaten zu verlieren, ein geisteskrankes Mädchen entkommen zu lassen, einen gesamten Sektor auf den Kopf zu stellen und die Unruhen im Volk zu befördern. Das alles erstaunt mich allerdings nicht im Mindesten.«
Seine Hand gleitet nach oben zu meinem Schlüsselbein.
Weiße Wände, denke ich.
Betonmauern.
Große leere Räume.
Nichts ist in mir. Nichts bleibt in mir.
»Doch am schlimmsten«, sagt er, »ist nicht die Tatsache, dass du mich blamierst, indem du die Ordnung zerstörst, die ich endlich hergestellt hatte. Nicht einmal, dass du dir bei alldem auch noch eine Schussverletzung zugezogen hast. Sondern dass du die Angehörigen eines Verräters ungeschoren hast davonkommen lassen«, sagt er und lacht, fröhlich und unbeschwert. »Das ist unverzeihlich.«
Meine Augen sind jetzt offen, starren ins weiße Neonlicht an der Decke, bis es verschwimmt. Ich werde mich nicht bewegen. Ich werde nicht sprechen.
Seine Hand schließt sich um meinen Hals.
So abrupt und brutal, dass ich beinahe erleichtert bin. Ein Teil von mir hofft immer, dass er es endlich vollenden wird; dass er mich diesmal wirklich sterben lässt. Doch das tut er nie. Es ist nie von Dauer.
Er lässt zu früh los und bekommt genau das, was er wollte. Ich fahre hoch, keuchend und röchelnd, gebe Laute von mir, die seine Anwesenheit in diesem Zimmer anerkennen. Ich zittere jetzt von Kopf bis Fuß, meine Muskeln sind erschöpft von der Attacke und der langen Reglosigkeit. Der kalte Schweiß bricht mir aus, und das Atmen ist mühsam.
»Du hast großes Glück«, sagt er gefährlich sanft. Er ist aufgestanden. »Dass ich hier war, um die Sache in Ordnung zu bringen. Den Fehler zu korrigieren.«
Ich erstarre.
Das Zimmer dreht sich vor meinen Augen.
»Ich konnte seine Frau ausfindig machen«, sagt er. »Fletchers Frau und seine drei Kinder. Ich habe gehört, dass sie dich grüßen ließen.« Er hält inne. »Bevor sie umgebracht wurden, das ist also wohl nicht mehr von Bedeutung. Aber meine Männer haben es mir ausgerichtet. Sie schien sich an dich zu erinnern.« Er lacht in sich hinein. »Die Frau. Sie sagte, du hättest sie besucht, vor diesem … unerfreulichen Ereignis. Du hast den Siedlungen immer Besuche abgestattet, sagte sie. Und dich nach dem Befinden der Bürger erkundigt.«
Ich flüstere das einzige Wort, das mir über die Lippen kommt.
»Raus.«
»Und das soll mein Sohn sein«, sagt er mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ein dummer Schwächling. An manchen Tagen widerst du mich so an, dass ich mir überlege, dich eigenhändig zu erschießen. Und dann wird mir bewusst, dass dir das womöglich gefallen würde, oder? Damit du mir die Schuld an deinem Niedergang geben kannst. Dann denke ich: Nein, soll er doch an seiner eigenen Dummheit krepieren.«
Ich starre ins Leere. Meine gesunde Hand umklammert die Matratze.
»Was ist mit deinem Arm passiert?«, fragt er. »Delalieu schien ebenso ahnungslos wie die anderen.«
Ich schweige.
»Es ist dir peinlich zuzugeben, dass du von deinen eigenen Soldaten angeschossen wurdest, oder?«
Ich schließe die
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