Zerstörte Seelen
die hereinkamen, hatten unterschiedliche Zahlenkombinationen. Einige tippten drei Ziffern ein, andere sechs. Ein Doc hatte sieben.
Darby hatte aufgehört, Fluchtpläne zu schmieden. Selbst wenn es ihr gelang, einem der Ärzte oder Labortechniker, die ihr Blut abzapften und ihr dann irgendwelche Medikamente verabreichten, eine Karte abzunehmen, blieb immer noch das Problem mit den Zahlencodes. Außerdem wusste sie nicht, was hinter den beiden Türen lag. Der BU- Medizintrakt, in dem sie im Augenblick unter Quarantäne stand, war zweifellos bestens mit weiteren Schleusen gesichert. Und das Personal und die Wachleute – sicher allesamt Jungs von der Army – waren schließlich auch noch da.
Flucht war keine Option.
Dabei gab es viele Gründe, warum sie hier herauswollte. Anrufe nach draußen waren ihr nicht gestattet. Zeitungen bekam sie auch nicht. (Stattdessen brachte man ihr stapelweise Hochglanzklatschblätter. Als man ihr gesagt hatte, sie könne lesen, was sie wolle, hatte sie um Jane Austens gesammelte Werke gebeten und sie auch bekommen.)
Sie hatte Kabelfernsehen, aber alle Nachrichtensender waren blockiert. Kein Mensch sagte ihr, womit sie infiziert war, weshalb man ihr ständig Blut abnahm und sie mit Medikamenten vollpumpte. Anweisungen, hieß es, von dem Mann gleich nach dem lieben Gott, von Sergeant Major Glick.
Aber noch mehr zu schaffen machte Darby die Tatsache, dass niemand ihr sagen wollte, wann sie entlassen werden würde. Sie zeigte noch immer keinerlei Symptome einer Infektion oder Vergiftung. Keine Übelkeit. Keine Probleme beim Schlucken oder Atmen. Schön, das Luftholen tat weh, aber das lag an ihren gebrochenen Rippen. Ständig hieß es, sie müsse sich schonen und sich ausruhen, und in den ersten Tagen hatte sie sich gefügt.
Seither hatte sich kein einziges Anzeichen einer Erkrankung eingestellt. Trotzdem wurde sie hier ohne eine Erklärung festgehalten.
Sie hätte gerne gewusst, wie spät es war. Doch in dieser Kammer gab es keine Uhr.
Überhaupt fehlte hier so einiges.
Das würde sich ändern. Jetzt sofort.
Darby schlug das kratzige Bettzeug zurück, setzte sich auf und ließ die Beine vom Bett baumeln. Sie grub die Finger in den Rand der Matratze und wartete, bis das Schwindelgefühl sich legte. Es ließ sich damit immer verdammt viel Zeit. Und wenn es endlich weg war, fühlte ihr Kopf sich an, als trüge sie einen pochenden Zementblock auf den Schultern, der sie wieder auf die Matratze ziehen wollte. Vermutlich eine Nebenwirkung der Schmerzmittel. Der Gewehrschuss hatte nicht eine, sondern drei Rippen gebrochen und ziemlich viel Knorpelmasse beschädigt. Glücklicherweise war nicht mehr passiert. Ihre Lunge und die Milz hatten nichts abbekommen.
Die Medikamente, die man ihr gab, hatten allerdings noch eine weitere, viel gravierendere Nebenwirkung: Sie benebelten ihr Gehirn und beeinträchtigten ihr Gedächtnis. An manches, was geschehen war, erinnerte sie sich nur noch schemenhaft; anderes schien wie von einem schwarzen Loch verschluckt.
Nahezu lückenlos konnte sie sich allerdings ins Gedächtnis rufen, was sie im Haus der Rizzos gesehen und gehört hatte und was später im Wald geschehen war. Auch die Fahrt in der mobilen Quarantänezelle aus Edelstahl stand ihr noch klar vor Augen. Immer wieder war sie durch die schlingernden Bewegungen des Anhängers, in dem sie, das ältere Paar und dessen Enkel zum Bostoner BU -Labor gekarrt worden waren, gegen die kalten glatten Wände gedrückt worden. Im Labor hatte man sie durch eine Art Schleuse aus Kunststoff in einen gleißend hell erleuchteten, weiß gekachelten Raum gebracht, wo zwei Frauen in Schutzoveralls sie mit einer Bahre erwartet hatten. Die eine hatte ihr eine weitere Injektion verabreicht, die andere hatte ihr erklärt, sie müsse sich noch einer zweiten, gründlicheren Dekontaminierungsprozedur unterziehen. Das Beruhigungsmittel würde ihr helfen, sich zu entspannen und ihr auch die Schmerzen nehmen. Die Frauen zogen ihr den Krankenhauskittel aus und schnallten sie auf die kalte Bahre. Darby starrte die summenden Leuchtstoffröhren an der Decke an. Dann verschwammen ihre Formen ineinander, das Licht wurde heller und heller.
Was danach passiert war, wusste sie nicht.
Nach dem Aufwachen im Quarantäneraum war ihr als Erstes der Zustand ihrer Haut aufgefallen. Sie war wund gescheuert und verströmte genau wie ihr Haar einen chemischen Geruch, der an Desinfektionsmittel und an die keimtötenden Mittel erinnerte, die in
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