Zerteufelter Vers (German Edition)
Liebe,
umspielt von den Mächten des Seins,
erstrahlt in seiner ehrlichen Pracht.
Was dir dieses Buch eigens rät,
ferner der Grotte heimlichen Strebens,
erkenne, des Todes Geschwisterchen sät,
das, des Lebens.
Glorias Augen wanderten wieder und wieder über die Strophen. Einmal hörte es sich bedrohlich an – besonders, wenn sie die vorletzte Zeile las – und dann wiederum klang es sanft und vorsichtig. Bis jetzt hatte sie immer herausbekommen, worum es in den Gedichten ging. Das letzte erhielt durch Rommerz einen Sinn, aber dieses Mal? Gloria besaß so gar keine Idee, was das Buch ihr damit sagen wollte.
‹Leben und Leben schenken›, hörte sich nett an. Bislang war es in den Gedichten immer um den Tod gegangen. Gloria dachte nach. Konnte es sein, dass es sich dieses Mal um die andere Seite der Medaille handelte? ‹Das Geheimnis des Lebens› – wie es schon in der Überschrift hieß? ‹Leben schenken› war gleichzusetzen mit einer Geburt. Das lag zumindest nahe und war das einzige, was einen Sinn ergab. Wenn sich bislang alles ums Sterben drehte, konnte es ja auch mal um ‹neues Leben› gehen. Aber warum schrieb das Buch ihr so ein Gedicht?
‹Es fällt und umhüllt sein Geheimnis, an jenem Ort, der sich deiner verschließt. Der Grotte heimlichen Lebens, des Todes Geschwisterchen sät.› Gloria schaute auf die Zeilen. Ein Ort, der sich ihrer verschloss… Was wollte das Buch ihr damit sagen? Gloria fragte sich, welche Metapher hinter ‹Grotte des heimlichen Lebens› steckte, aber es wollte ihr einfach nichts Gescheites einfallen. Das einzige, was noch einen Sinn ergab, schien, dass das Leben seit jeher das Gegenstück zum Tod bildete. Dies musste mit der letzten Zeile gemeint sein, aber in Glorias Kopf herrschten mehr Fragezeichen, als alles andere.
‹Was dir dieses Buch eigens rät, ferner der Grotte heimlichen Strebens, erkenne, des Todes Geschwisterchen sät, das, des Lebens.› Gloria dachte lange über diese Strophe nach. Immerhin nahm das Buch Bezug auf sie selbst; es sprach einen Rat aus. Konnte es nach dem Tod vielleicht ein nächstes Leben geben? Dies wiederum würde heißen, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Gloria schüttelte ungläubig den Kopf. Das wirkte alles an den Haaren herbeigezogen und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte! Dieses Gedicht war seltsam.
Es hatte keinen Sinn: Sie würde nicht verstehen, was jene Strophen meinten, solange sich nichts Neues ergab. Aber es war bis in die Haarspitzen zu spüren, dass Gloria irgendwann auch dieses Gedicht verstehen würde!
16 Spiel des Wissens
Als Gloria am nächsten Morgen aufwachte, fand sie Kirt neben sich. Er schlief tief und fest. Seltsam – sie hatte ihn heute Nacht gar nicht gehört. Schlafend wirkte er nicht halb so unnahbar und distanziert. Lautlos stand Gloria auf und ging nach draußen. Es war schon halb elf und anstelle eines Frühstücks ging sie gleich zum Mittagsessen über: Nudelsalat von gestern. Sie entdeckte Kitty und Sebastian an der Feuerstelle.
Die beiden musterten Gloria. »War Kirt gestern noch mal weg?« »Ja.« Gloria hätte gern gewusst, ob sie den Hintergrund zu Kirts Verschwinden kannten. Sebastian kickte einen Kieselstein beiseite. »Ich würd´ gern mal wissen, was der treibt, wenn er alleine unterwegs ist.« – Das verwunderte Gloria. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass zumindest die Drei untereinander wussten, was der andere tat. Kitty lachte. »Ich will es ehrlich gesagt gar nicht wissen.« Sie schaute zu Gloria, als wie auf Knopfdruck ihr Lachen peinlich verstarb. »Sorry.«
Gloria sah sie irritiert an. Dachte Kitty etwa, dass zwischen ihnen etwas lief? Na super – wenn es wenigstens so wäre! Gloria nahm eine Flasche Wasser aus der Kühlbox und setzte sich neben Kitty, als Sebastian zeitgleich aufstand und die Mädchen allein ließ. »Hab´ ich irgendetwas gemacht?« Gloria sah Sebastian hinterher. »Nee, nee – keine Sorge. Ich glaube, Basti hat nur keine Lust, uns Gesellschaft zu leisten.« Kitty grinste übers ganze Gesicht, als sie fortfuhr: »Wie läuft´s denn mit Kirt und dir?« Gloria starrte Kitty an. Die beiden dachten tatsächlich, dass sie etwas miteinander hatten. Ganz so abwegig war es ja auch nicht. – Nichts Halbes und nichts Ganzes…
Gloria lachte und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was du meinst.« Kitty sah sie vielversprechend an. »Schon klar.« Sie schaute fortwährend zu Gloria, die ebenfalls grinsen
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