Ziel erfasst
die Kleidung, die seine Angreifer für ihn bestimmt hatten. Danach zerrten sie ihn durch das Schlafzimmer, die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und in Richtung Eingangstür.
Mahmud, Emblings Hausdiener, ein Waisenkind, kniete mit dem Gesicht zur Wand auf dem Boden. Er hatte den Fehler begangen, sich einem Bewaffneten entgegenzustellen, der die Eingangstür eingetreten hatte. Seine Tapferkeit musste Mahmud bitter bezahlen. Der Angreifer trat ihm mit dem Stiefel ans Kinn und rammte ihm seinen Gewehrlauf in den Rücken. Dann befahl man dem armen Jungen, sich mit dem Gesicht zur Wand hinzuknien, während man Embling aus dem Bett holte. In einem Urdu, dem ein eigentümlicher holländischer Akzent beigemengt war, schrie Embling jetzt die Gewehrträger an und schimpfte sie wegen ihrer Behandlung des Jungen wie kleine Kinder aus. Danach forderte er Mahmud mit tröstenden Worten auf, zum Nachbar hinüberzulaufen. Der werde ganz gewiss nach seinen Prellungen und Kratzern sehen. Er versprach dem vollkommen verstörten Jungen, dass er sich keine Sor gen machen müsse und dass er selbst schnell wieder zurück kehren werde.
Draußen auf der dunklen Straße dämmerte ihm, was hier eigentlich vor sich ging. Direkt vor dem Haus parkten zwei schwarze Geländewagen, deren Marke und Modell vor allem bei den Agenten des Inter-Services Intelligence Directorate beliebt war. Neben ihnen standen vier weitere Männer. Sie trugen zwar Zivilkleidung, waren jedoch mit großen HK-G3-Sturmgewehren, der Standardwaffe der pakistanischen Streitkräfte, ausgerüstet.
Jetzt war sich Embling sicher, dass er gerade vom ISI, dem pakistanischen Militärgeheimdienst, abgeholt wurde. Das war in keinerlei Hinsicht eine gute Nachricht. Er wusste genug über dessen Methoden, um sich ziemlich sicher zu sein, dass ihm jetzt wohl mindestens eine Kellerzelle und eine ziemlich heftige Befragung drohten. Trotzdem war das immer noch unendlich besser, als von den Tehrik-i-Taliban, dem Haqqani-Netzwerk, der al-Qaida, dem URC, Lashkar-e-Omar, den Quetta-Shura-Taliban, dem Nadeem-Kommando oder einer der anderen Terrororganisationen entführt zu werden, die bis an die Zähne bewaffnet die Straßen von Peschawar unsicher machten.
Nigel Embling war ein früheres Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes. Er wusste deshalb, wie man mit anderen Geheimdienstlern reden musste. Die Vorstellung, dies tun zu müssen, während man ihm die Finger brach oder seinen Kopf in einen Eimer eiskaltes Wasser tunkte, gefiel ihm zwar nicht im Geringsten, aber er wusste, dass das immer noch einem Raum voller Dschihadisten vorzuziehen war, die ihm mit einem stumpfen Schwert den Kopf abhacken wollten.
Die G3-Träger, die auf dem Rücksitz des Geländewagens Embling auf beiden Seiten einfassten, sagten kein Wort, während sie durch die leeren Straßen der Stadt fuhren. Embling machte sich gar nicht erst die Mühe, ihnen irgendwelche Fragen zu stellen. Antworten würde er nur dort erhalten, wohin sie ihn gerade brachten. Diese Männer waren nur Mitglieder der Aufgreifmannschaft. Man gab ihnen einen Namen, ein Foto und eine Adresse und schickte sie dann los, den entsprechenden Menschen zu holen, als ob man sie auf dem lokalen Markt Tee und Kuchen besorgen ließe. Sie waren hier, weil sie gut schießen konnten und anderen Menschen mit Begeisterung in den Hintern traten. Sie kannten ganz bestimmt keine Antworten auf die Fragen, die Embling gerade bewegten.
Aus diesem Grund blieb er ruhig und konzentrierte sich auf den Weg.
Das Hauptquartier des ISI in Peschawar lag in den westlichen Vororten in der Nähe der Khyber Road. Wären sie dorthin unterwegs gewesen, hätten sie nach links auf die Grand Trunk Road einbiegen müssen. Stattdessen fuhren sie in die nördlichen Vorstädte weiter. Embling nahm an, dass man ihn in einen der unzähligen geheimen Unterschlupfe des Geheimdienstes brachte. Der ISI unterhielt in der ganzen Stadt zahlreiche konspirative Treffpunkte, die in normalen Privatwohnungen oder kommerziellen Büros untergebracht waren. Dort konnten sie zu weit robusteren Methoden greifen, als es im offiziellen Hauptquartier möglich gewesen wäre. Der Verdacht des Briten wurde bestätigt, als sie vor einem verdunkelten Bürogebäude hielten. Zwei Männer mit Funkgeräten und Uzi-Maschinenpistolen kamen aus der Glastür heraus, um die Fahrzeuge in Empfang zu nehmen.
Ohne ein einziges Wort führten sechs Männer Nigel Embling ins Gebäude und dort eine enge Treppe hinauf. Man brachte ihn
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