Ziel erfasst
lächelte. »Ich halte die meisten Amerikaner für ziemlich klug. Sie haben erkannt, dass Wahlversprechen im Allgemeinen nicht eingehalten werden. Ich war immer der Meinung, ich sollte Amerika zeigen, wer ich bin, wofür ich stehe und woran ich glaube. Und wenn ich dann noch als ein Mann rüberkomme, dem man vertrauen kann, werden mir bestimmt einige Leute ihre Stimme geben. Wenn es dann für den Wahlsieg reicht, großartig. Und wenn nicht, nun … Amerika wird sich für den entscheiden, den es für den Besten hält, und damit kann ich gut leben.
Trotzdem werde ich hier und heute ein Wahlversprechen abgeben.« Er schaute direkt in die Kamera. »Wenn Sie mich ins Weiße Haus wählen, werde ich mich sofort nach meiner Rückkehr von der Vereidigung vor dem Kapitol an den Schreibtisch in der Pennsylvania Avenue 1600 setzen und als buchstäblich erste Amtshandlung Saif Yasins Überstellung an die Militärjustiz anordnen.« Er seufzte. »Sie werden sein Gesicht nie im Fernsehen sehen oder seine Stimme oder die seines Anwalts im Radio hören. Er wird einen fairen Prozess und eine gute Verteidigung erhalten, aber alles wird abgeschirmt und nicht öffentlich stattfinden. Einige mögen dies ablehnen, aber ich habe bis zum Wahltag noch sechs Wochen Zeit. Ich hoffe, dass Sie es mir nicht verdenken, wenn ich Sie davon zu überzeugen versuche, dass dies für die Vereinigten Staaten von Amerika das Beste ist.«
Viele im Publikum applaudierten, viele taten es nicht.
Kurz darauf war die Debatte zu Ende. Kealty und Ryan schüttelten sich für die Kameras noch einmal die Hand, dann küssten sie ihre Ehefrauen direkt vor dem Podium.
»Wie war ich?«, flüsterte Jack Cathy ins Ohr.
Dr. Cathy Ryan strahlte über das ganze Gesicht, als sie zurückflüsterte: »Ich bin so stolz auf dich. Du hast die ganze Zeit ein fröhliches Gesicht gezeigt.« Sie küsste ihn noch einmal und sagte dann mit einem Grinsen: »Ich mag es, wenn du auf mich hörst.«
20
N ewport, Rhode Island, lag am Südende der Aquidneck-Insel, etwa fünfzig Kilometer südlich von Providence. Neben der Naval Station Newport, einer alten Marinebasis der US-Navy, gab es dort mehr Gebäude aus der Kolonialzeit als in irgendeiner anderen amerikanischen Stadt. Außerdem standen dort noch etliche Herrenhäuser aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die sich einige der damals reichsten Industrie-und Finanzmagnaten hatten bauen lassen. John Jacob Astor IV, William und Cornelius Vanderbilt, Oliver Belmont und Peter Widener, der Mitgründer von U.S. Steel und American Tobacco, errichteten während des Gilded Age nach dem amerikanischen Bürgerkrieg auf der damals absolut angesagten Insel palastartige Sommerhäuser.
Die meisten Milliardäre waren inzwischen verschwunden. Ihre prächtigen Häuser gehörten heute Trusts und Familienstiftungen oder waren Museen. Ein paar Superreiche waren aber immer noch in Newport zu Hause. Der betuchteste Bewohner der Insel lebte in einem Anwesen direkt am Meer. Es lag in der Bellevue Avenue, nur drei Blocks von der katholischen St. Mary’s Cathedral entfernt, in der im Jahr 1953 die Hochzeit von John F. Kennedy und Jacqueline Bouvier stattgefunden hatte.
Der Name des Hauseigentümers war Paul Laska. Er war siebzig Jahre alt und gegenwärtig laut dem Forbes- Magazin der viertreichste Amerikaner. Politisch war er der Meinung, dass eine zweite Amtszeit Ryans wahrscheinlich das Ende der Welt einleiten würde.
Im Moment saß er allein in seinem prächtigen Palais und schaute sich im Fernsehen an, wie Jack Ryan am Ende der Debatte seine Frau küsste. Dann stand er auf, stellte den Fernseher ab und ging in sein Schlafzimmer. Sein gealtertes, sonst so blasses Gesicht war jetzt rot vor Wut. Auch seine hängenden Schultern zeigten, wie es um seine Gemütsverfassung stand.
Er hatte fest darauf gehofft, dass Ed Kealty bei der heutigen Debatte das Blatt wenden würde. Laska hatte es deswegen erwartet, weil er seit geraumer Zeit etwas wusste, das bis vor dreißig Minuten fast niemand auf der Welt gewusst hatte.
Dem alternden Milliardär war bekannt, dass der Emir in US-Gewahrsam war. Diese Information hatte ihn auch nie den Mut verlieren lassen, als sich Ryans Vorsprung in den Meinungsumfragen im Sommer und im Frühherbst nicht verringert hatte. Er hatte angenommen, dass Eds »bedeutende Enthüllung« während der zweiten Präsidentschaftsdebatte endlich die abgedroschene Phrase beerdigen würde, Jack Ryan sei der »Antiterror-Kämpfer« unter den
Weitere Kostenlose Bücher