Zigeunerprinz
vertuschen wollte und sie dann aus unerfindlichen Gründen verhindert und das Instrument beiseite geschafft hatte, um sich selbst zu schützen?
Das entsetzte Gesicht de Landes' ging ihr nicht aus dem Kopf. Hatte er sich vor einer Entdeckung gefürchtet? Oder war er entsetzt über die Männer gewesen, die er unwissentlich auf sein Land losgelassen hatte?
Und was würde jetzt geschehen? Würde der Prinz sie bei sich behalten, bis er ihrer müde war? Würde er sie mit einer großzügigen Summe als Bezahlung gehen lassen, um seine Dankbarkeit zu bezeugen? Oder würde man sie eines Morgens in einer Gasse finden, vollkommen unkenntlich gemacht, als eine Frau, die die Gunst eines wichtigen Mannes gewonnen hatte, aber zuviel wußte ?
Skrupellos. Der Prinz war skrupellos. Er hatte sie mit sich nach Paris genommen, als wäre sie ein streunendes Tier, das er gefunden hatte. Er hatte Trudes Gesicht mit seinem Schwert zerkratzt, um ihr irgend etwas zu beweisen. Er benutzte Männer und Frauen, um seine Ziele zu erreichen, entlockte ihnen alle nützlichen Informationen und schickte sie dann fort. Er nahm ihre Ergebenheit, ihre Loyalität an, wie bei Luca, und was gab er ihnen dafür? Schöne, strahlende Worte. Die Ehre seiner Anwesenheit. Aufregung. Kurze Augenblicke, in denen sie sich ganz lebendig fühlten, in denen sie auf der scharfen und gefährlichen Schneide des Vergnügens lebten. Nichts Solides. Nichts von Dauer.
Die Kutsche rumpelte weiter. Sie ließen Paris hinter sich, fuhren Richtung Süden. Die Hügel hoben und senkten sich. Sie kamen an Stoppelfeldern und Obstgärten vorbei, deren Apfel-, Birn- und Pfirsichbäume noch die letzten Blätter trugen. Sie kamen durch Dörfer, deren Häuser in die verwinkelten Straßen ragten und sich aneinanderdrängten, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Hunde bellten, Kühe muhten. Bauern starrten ihnen mit offener Neugier nach, wenn sie in einer Staubwolke vorüberzogen.
Sie verbrachten die Nacht in einem kleinen Ort, aßen Bohnen und Fleisch und tranken einen ausgezeichneten Rotwein, bevor sie in die Federbetten fielen und traumlos schliefen. Am Morgen zogen sie in aller Frühe weiter.
Und schließlich kamen sie ins Loiretal, wo der Fluß in weiten, gemächlichen laubgrünen Kurven dahinfloß. Hier lagen
Dutzende Chateaus, Monumente, die vom Reichtum und Amüsement von Generationen des französischen Adels kündeten. Es gab mittelalterliche Burgen und Märchenschlösser, Jagdschlößchen, mönchische Zufluchten und Chateaux de plaisance. Hier hatten die königlichen Mätressen gelebt und Protestanten zu Dutzenden an den Zinnen der alten Burgen gehangen. Hier hatte man gelacht und Tränen vergossen, hier waren Prunk und Glorie einst zu Hause gewesen, doch inzwischen vergessen, seit die Revolution diesem Leben ein Ende gesetzt hatte.
Sie fuhren über gewundene Straßen, passierten die Zigeuner, die am Flußufer lagerten, durchquerten Wälder, die einst »königlich« als Adjektiv geführt hatten. Sie sahen die verfallenen Aquädukte und Straßen, die das alte Rom hinterlassen hatte, die Städte, deren gotische Kathedralen hoch über den Fluß ragten und denen die Zeit nichts anzuhaben schien. Und im Dunkel der Nacht, als ein runder gelber Mond sich senkte, kamen sie schließlich zu dem Chateau, das de Landes als seines bezeichnete.
Es war ein baufälliges Steingemäuer, der Stolz eines Architekten längst vergangener Zeiten, inzwischen hinfällig und kaum mehr bewohnbar. Fledermäuse umflogen die moosbewachsenen Türme mit den blinden Fenstern und geschnitzten Kreuzen, und Efeu zog seine dunkle Spur über die Mauern. Der Wald, durchsetzt von Stoppelfeldern, schob sich bis an die Tore heran. Die Truppe ließ sich im Schatten der Bäume nieder und wartete.
12. Kapitel
Die Dämmerung, jene Zeit, in der die Wahrnehmung am leichtesten trügt und der Mensch am tiefsten schläft, war als Angriffszeit auf das Chateau gewählt worden. Der Prinz erteilte, obwohl sie kaum vonnöten schienen, ein paar kurze Weisungen, bevor man sich ans Werk machte. Jeder kannte seinen Platz und seine Aufgabe. Es war nicht einer unter ihnen, der nicht begriffen hätte, daß ein Fehltritt, ein einziger unbedachter Augenblick den Tod bedeuten konnte. Sie waren bereit, gestählt durch endloses Üben, sorgfältige Vorbereitung und mitleidige Kommentare über ihre wenigen Schwächen. Sie wären nicht hier, wenn sie ihrer Aufgabe nicht ganz und gar gewachsen gewesen wären. Diese Versicherung hatte
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