Zigeunerprinz
starrte ihn ungläubig an, streckte dann die Hand aus und drückte die Klinke nieder. Sie gab sofort nach. Dann trat er zurück und nickte Mara zu, damit sie voranging.
Mara schluckte. Ihre Hand zitterte, als sie sie auf die Türklinke legte. Vielleicht war ihre Großmutter zu schwach, um aufzustehen oder sie zu rufen. Vielleicht hatte ihr Herz das lange Warten auf die Rettung nicht überstanden, und sie lag nun tot in diesem großen steinigen Mausoleum. Es gab nur einen Weg, die Wahrheit herauszufinden.
Grauenhaft langsam schwang die Tür auf. Das Zimmer lag im Halbdunkel, wurde nur durch das fahle Morgenlicht erhellt, das durch die vorhanglosen Fenster fiel. Ein riesiges
Bett unter einem Baldachin aus besticktem Satin, grau vor Staub und Alter, war zu sehen. Eine bemalte Truhe jener Art, die man einst Hochzeitstruhe genannt hatte, stand an einer Wand, und ein Sessel war vor den Kamin gezogen worden. Das war das ganze Mobiliar. Allerdings war auch ein Koffer und ein züchtiges weißes Nachthemd zu sehen, von Nonnen gefertigt und mit hohem Kragen und langen Ärmeln, das Mara als das ihrer Großmutter erkannte. Das Nachthemd war über den Sessel geworfen worden, als hätte sich ihre Großmutter hastig vor dem kleinen Feuer umgezogen, das in dem riesigen Kamin brannte.
Auf Maras Ruf hin versammelten sich die anderen hinter ihr im Zimmer.
Der Hauptmann leckte sich die Lippen, während er von einem grimmigen Gesicht ins nächste schaute. »Sie - sie muß schon nach draußen gegangen sein. Sie steht früh auf, die Madame.«
Sie stampften wieder hinaus, verließen das Gebäude durch eine Hintertür, die in eine kleine rückwärtige Passage führte. Dieser Gang verband die Küche mit den Dienstbotenkammern und führte zu den Ställen und weiteren Nebengebäuden, den Abort eingeschlossen. Sie durchsuchten die Küche, wo eine Vettel in fettiger Schürze gerade eine Kanne Kaffee kochte. Der Abort war diskret verdeckt. Der Hauptmann begann gerade zu stottern, als Mara, die auf ein Gebäude wie ein Hühnerstall starrte, erfreut aufschrie.
Grandmere Helene kam auf sie zu. Die Kapuze ihres Umhangs hatte sie zurückgeworfen, so daß ihr weißes Haar im Licht der aufgehenden Sonne leuchtete. Die Säume ihres Umhangs und ihres Kleides waren schwer und feucht vom Tau. In der Hand trug sie einen Korb voller Eier, während hinter ihr wie ein zahmes Hündchen eine Ziege spazierte, deren zwei Zicklein um sie tollten. Sie hob ihre Hand zu einem Winken, und ihr faltiges Gesicht überstrahlte ein warmherziges Lächeln.
»Guten Morgen«, rief sie fröhlich, während sie näher kam. »Ihr kommt alle gerade rechtzeitig für ein Frühstücksomelett.«
Als gute kreolische Hausfrau kannte sich Grandmere Helene mit dem Essen aus. Obwohl sie seit Jahren keine Mahlzeit mehr mit eigenen Händen zubereitet hatte, hatte sie ihre Küche immer persönlich überwacht, und die Speisen auf ihrem Tisch waren nach eigenen Rezepten erstellt, die sie in ihrer eleganten, fließenden Handschrift festgehalten hatte. Sie hatte ihre Bewacher nicht nur durch ihre ausgezeichneten Manieren, sondern auch durch die Qualität der Speisen, die sie ihnen bereitete, bezaubert, wozu sie die gesunden Landprodukte verwendete, die es hier gab. Die Ziege und die Hühner gehörten den Schloßverwaltern, einer Bauernfamilie, die von einem Diener jener Aristokratenfamilie abstammten, die einst das Schloß erbaut hatte. Seit der Revolution wohnten sie im Haupthaus. Die Eigentümer kamen und gingen mit den häufigen Regierungswechseln, aber die Verwalter blieben.
Der Hauptmann der Wache war der älteste Sohn des Verwalters, die Wachleute waren allesamt entfernte Verwandte. Grandmere war unglücklich über die Verwundungen, die sie sich bei der Verteidigung des Chateaus zugezogen hatten. Sie waren gut zu ihr gewesen, fast wie eine Familie. Sie verlangte, daß man ihre Wunden versorgte und daß sie noch vor dem Frühstück freigelassen wurden.
Es sei sehr freundlich von Roderic, sie zu retten, sagte sie; er dürfe sie nicht für undankbar halten. Er sei seinem Vater sehr ähnlich, so stürmisch, so erstaunlich tapfer, so gutaussehend. Ihn zu sehen, weckte alte Erinnerungen in ihr. Und wie umsichtig es gewesen sei, die liebe Mara mitzubringen; sie habe sich bestimmt um ihre Großmutter gesorgt und sei nun beruhigt. Er solle sie doch bitte ebenfalls Grandmere nennen. Ob er etwas wilde Zwiebel und vielleicht ein Stück Ziegenkäse zu seinem Omelett mögen würde ?
Roderic war
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