Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Welten.
Und wir sind inzwischen lärmend und großspurig zu den Sternen hinausgezogen und haben die zahlreichen Welten angefüllt mit unsresgleichen und mit dem Getier der verlorenen toten Erde, die wir uns zur Gesellschaft mitnahmen, mit Kühen und Pferden, mit Schlangen und Kröten. Wir überschwemmten wie eine ungebärdige Flut ein ganzes Universum, das mit sich selbst höchstwahrscheinlich auch ohne uns völlig zufrieden war, und wir haben uns weite Sektoren darin untertan gemacht. Und doch … und dennoch – trotz unserer gewaltigen Ergießung ins Draußen sind wir nur ein dünnes dunkles Fädchen auf der Milchstraße. Wollte jemand unter uns für sich alleine stehen, er wäre verloren. Und so streckten wir die Fühler aus – wir, die wir nichts weiter sind als wenige verspritzte Samenperlen, treibend in diesem unendlichen Meer der Nacht (wenn es euch nicht stört, dass ich euch kühn eine so gemischte Metaphorik um die Ohren haue, aber wenn es einem König nicht erlaubt sein sollte, von einem Metaphernsattel in den anderen zu springen, dann möchte ich wissen, wer das Recht hätte), und wir bemühen uns, miteinander in Verbindung zu bleiben. Und dies ist der Grund für die Existenz eines Imperiums und eines Kaisers; und es ist der Grund dafür, warum beim Tode des Kaisers alles an den Rand des Chaos gerät.
Es ist euch vielleicht aufgefallen, während ich mich da so leidenschaftlich vor euch ergossen habe, dass ich keinen genauen Unterschied machte zwischen Gaje und Roma. Das stimmt. Gewiss, wir haben unsere Verschiedenheiten – und wie gewaltig die sind, das zu begreifen haben die Gaje noch nicht einmal angefangen! –, doch wir haben auch große Gemeinsamkeiten, und ich gestatte mir ebenso wenig niemals, sie aus dem Auge zu verlieren. Sie sind menschlich, und wir sind menschlich. Das Meer, in dem wir treiben, ist sehr groß, und wir sind allesamt sehr klein; und so brauchen wir alle eben jeden Verbündeten, den wir nur finden können. Gewiss: Von Kindheit an lehrt man uns, dass der Gajo der Feind sei. Doch der Gajo ist gleichfalls auch der einzige Freund. Es ist eine sehr verwirrende Sache. Aber die meisten wesentlichen Dinge im Leben sind nun einmal so. Wir Roma haben uns bewusst abgesondert, waren Insulaner in der gewaltigen See von Gaje, denn hätten wir es nicht getan, wir wären verloren gegangen und hätten uns aufgelöst; und dennoch arbeiteten wir immer wieder so viel wie möglich mit ihnen zusammen, denn wenn wir es nicht getan hätten, wären wir gleichfalls verloren gewesen. Wir bilden ein Königreich außerhalb des Imperiums, aber zugleich sind wir Teil des Imperiums. Das ist nicht leicht zu verstehen. Und es war auch nicht leicht, es zu erreichen. Aber ich sage euch eins: Der Tod des Gajo-Kaisers mindert uns alle, auch uns Roma. Kein Mensch ist eine Insel!
2
Ich hörte Lärm und Getöse im Haus. Vielleicht stellte man Möbel um, vielleicht wurden Wände niedergebrochen, ich hätte es nicht sagen können. Der Krach hielt anderthalb Tage lang an und klang allmählich denn doch ein wenig bedrohlicher, als wenn sie nur Sofas umherwuchteten. Doch für mich in meiner splendiden Isolationshaft waren es nur weitere anderthalb Tage seliger Schlemmerei: sagenhaft köstliche Saucen und sahnige Desserts und funkelnde Weine. Wie sich erweisen sollte, war es der Gipfel- und Endpunkt meiner kulinarischen Wonnen, eine allerletzte Gaumenorgie. Am Abend des zweiten Tages nämlich erhielt ich überhaupt kein Abendessen. Kein Roboter zeigte sich, aber der Lärm vor meiner Zellentür wurde lauter. Und da begriff ich natürlich, dass etwas Schwerwiegendes sich abspielen müsse.
Eine Ahnung der Wahrheit überfiel mich, als ich draußen auf dem Gang Schritte hörte, das Geräusch rennender Füße. Dann gab es Gebrüll und Alarmrufe, ein, zwei Sirenen, das unverkennbare Zischen von Implosionsfeuer, das dumpfe Wummern schwerer Geschütze. Ich drückte das Ohr gegen die Tür. Da draußen kämpften sie, soviel war klar, doch wer kämpfte gegen wen? Ich konnte es nicht erkennen.
Zunächst dachte ich: Vielleicht ist Polarca oder Valerian mit einer Armee loyalistischer Roma gekommen, um Shandor zu stürzen und mich zu befreien. Der Himmel bewahre mich davor, dachte ich. Wenn ich Shandor mit Gewalt hätte vertreiben wollen, dann hätte ich das nun gewiss schon viel früher versucht, anstatt diese meine ganze raffinierte Scharade aufzuziehen. Kein Rom sollte je die Hand gegen einen anderen erheben.
Jedoch,
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