Zigeunerstern: Roman (German Edition)
sollte es ein Leben nach dem Tode in diesem Leben geben, würde dies für mich in alle Ewigkeit ein Leben der schwarzen Schande und brennenden Schmach durch diese ihre Verachtung sein. Und wenn es kein weiteres Leben nach diesem gibt – nun, das änderte auch nichts an den Dingen. Ich musste dennoch jetzt und hier so leben, als blickten sämtliche noch ungeborene Roma-Generationen auf mich, als stünde jeder meiner Tage im scharfen Strahl ihrer prüfenden Augen.
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Man hätte denken können, dass sich mir nun eine Möglichkeit bot, nach so ausgefülltem Gesellschaftsleben endlich etwas Luft zu bekommen und mich zu erholen. Aber nein, es dauerte nicht lange, da hatte ich schon wieder Besuch.
Dieser nächste Gast war für mich ein wenig verwirrend, denn es handelte sich um den Duc de Gramont. Oder auch um seinen Doppelgänger. Da war ich mir gar nicht sicher, und das machte die Sache verwirrend. Und beunruhigend.
Julien de Gramont ist ein alter Freund von mir. Es ist ihm irgendwie stets gelungen, geschickt zwischen den sich manchmal überlagernden Autoritätssphären des Roma-Königs und des Reichs-Kaisers hindurchzulavieren. Woraus man auf Juliens wache Intelligenz schließen darf. Als Beruf erwählte er sich den des ›Prätendenten‹ auf den Königsthron des alten Frankreich. Frankreich, müsst ihr wissen, war eines der bedeutenden Länder auf der Erde, so etwa im Jahre 1600 der Zeitrechnung oder so etwa um die Zeit. Dieses Land Frankreich hat sich vor langem schon seiner Könige entledigt, aber das spielt keine große Rolle; ich finde nichts besonders schlimm daran, wenn jemand Anspruch auf einen nicht mehr existierenden Thron erhebt. Was ich jedoch nicht so ganz richtig verstehe, obwohl Julien es mir sieben-, achtmal zu erklären versuchte, ist das: Wozu sollte es gut sein, Anspruch auf den Thron eines Landes auf einem Planeten zu erheben, den es gar nicht mehr gibt? Das habe, sagte er, etwas mit grandeur zu tun und mit gloire. (Diese Wörter spricht er etwa so aus wie ›Grann-döhr‹ und ›Kloahr‹, und sie bedeuten angeblich so etwas wie ›Größe‹ und ›Glanz‹; Französisch muss eine sehr seltsame Sprache gewesen sein.)
Ach, nur so nebenbei möchte ich darauf hinweisen, weil euch der Gedanke wahrscheinlich kaum selbst kommt, dass dieses geliebte Frankreich meines Duc de Gramont kaum größer war als eine mittelgroße Plantage auf einer Welt von Durchschnittsausmaßen, sagen wir Galgala oder Xamur. Trotzdem hatte Frankreich damals eigene Könige, eine eigene Sprache und eigene Gesetze, seine besondere Literatur und Geschichtsschreibung und all das übrige. Tatsächlich war es ein sehr bemerkenswerter Flecken – zu seiner Zeit. Das weiß ich, weil ich nämlich einmal dort war: genau in den Tagen übrigens, wo sich das Volk dort seiner Könige entledigte. Es ist eine merkwürdige, in gewisser Weise auch fast liebenswerte Eigenschaft an diesen Gaje der damaligen Erde gewesen, dass sie es irgendwie für nötig hielten, ihren einen winzigen Planeten in Hunderte von winzigen separaten Ländern aufzuteilen. Aber für uns war eine derartige Einrichtung selbstverständlich ein arger Tritt in die buija, solange wir unter den Gaje lebten. Doch das alles fand ja schon vor langer, langer Zeit ein Ende …
Während meiner ersten Zeit auf Mulano lebte ein Doppelgänger des Herzogs de Gramont hier mit mir. Julien hatte ihn für mich als Abschiedsgeschenk maßanfertigen lassen, als er von meiner Abdankung erfuhr, denn er weiß ja, wie sehr ich die französische Kochkunst schätze, und auf diesem Gebiet verfügt er über hohe Erfahrungen und Können; darum dachte er wohl, es würde mir angenehm sein, während der Zeit meines selbstauferlegten Exils meinen persönlichen französischen chef de cuisine zur Verfügung zu haben.
Doch Doppelgänger halten in der Regel nur ein bis zwei Jahre, in kalten Klimaten wie dem Mulanos vielleicht ein wenig länger. Dann verkümmern sie zu Schatten. Und sie werden auch leider nicht wieder lebendig. Mein Julien-Doppelgänger war vor mehreren Jahren zur üblichen Zeit auf die übliche Weise verschwunden. Und als ich nun eine Gestalt sah, die ich für den Doppelgänger des Duc de Gramont hielt, die sich durch die Schlangenarme meines Waldes einen Weg auf mich zu bahnte – wobei das Wesen ab und zu stehenblieb, um ein Blatt abzuzupfen und es sich in den Mund zu stopfen, wie um zu prüfen, ob es dem Geschmack nach brauchbar sei, vielleicht für irgendeine Sauce zu
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