Zirkuskind
das schockierend oder anstößig finden«, fügte er
hinzu.
[299] »Ich nicht«,
erklärte ihm seine Frau. Er klappte das Buch zu und legte es zur Zeitung auf den
Boden. Als er zurückrollte, hatte Julia die Kissen unter ihre Hüften geschoben und
wartete auf ihn. Zuerst berührte er ihre Brüste.
»Deine Brüste sind
hart«, sagte er zu ihr.
»Sind sie nicht«,
widersprach sie. »Meine Brüste sind alt und weich.«
»Ich mag sie weich
lieber«, sagte er.
Nachdem sie ihn geküßt hatte, sagte sie: »Meine Möse trieft.«
»Tut sie nicht!«
sagte er instinktiv, doch als sie seine Hand nahm und sie hinführte, spürte er,
daß sie nicht log.
Am Morgen drang
das Sonnenlicht durch die schmalen Ritzen der Fensterläden und legte sich in horizontalen
Streifen auf die kahle, kaffeebraune Wand. In der Zeitung am Boden raschelte ein
Gecko – nur seine Nase spitzte zwischen den Seiten hervor –, und als Dr. Daruwalla
nach dem Roman griff, schoß er unters Bett. Ihre Möse trieft! dachte der Doktor
im stillen. Leise schlug er das Buch auf, weil er glaubte, seine Frau würde noch
schlafen.
»Lies weiter – laut«,
murmelte Julia.
Auf den Lunch folgt Niedergeschlagenheit
Am Morgen
sah Farrokh der Situation mit neuem sexuellen Selbstvertrauen ins Auge. Rahul Rai
hatte mit John D. ein Gespräch angeknüpft, und obwohl Rahul – selbst nach Farrokhs
Maßstäben – in »ihrem« Bikini entzückend aussah, lieferte die kleine, verräterische
Wölbung des Bikinihöschens Dr. Daruwalla einen ausreichenden Grund, um John D. vor
einer möglichen Konfrontation zu bewahren. Während Julia mit ihren Töchtern am Strand
saß, spazierten der Doktor und John D., in ein vertrauliches Männergespräch vertieft,
am Ufer entlang.
[300] »Was Rahul angeht,
solltest du eines wissen«, begann Farrokh.
»Wie heißt sie?«
fragte John D.
»Er heißt Rahul«, erklärte Farrokh.
»Wenn du in sein Höschen schauen würdest, würdest du ziemlich sicher einen Penis und ein Paar Eier
vorfinden – beides ziemlich klein.« Sie gingen an der Küstenlinie entlang, wobei
John D. angelegentlich auf die glatten, sandpolierten Steine und die zerbrochenen,
abgerundeten Muschelschalen achtete.
Schließlich sagte er: »Die Brüste sehen aber echt aus.«
»Garantiert künstlich
hervorgerufen, durch Hormone«, entgegnete Dr. Daruwalla und erläuterte, wie Östrogene
wirken. Sie bewirken, daß sich Brüste und Hüften entwickeln und daß der Penis auf
Klein-Jungen-Größe zusammenschrumpft. Die Hoden bilden sich so weit zurück, daß
sie Schamlippen ähneln. Der Penis schrumpft so, daß er einer vergrößerten Klitoris
gleicht. Außerdem klärte der Doktor, so gut er es vermochte, John D. über eine vollständige
operative Geschlechtsumwandlung auf.
»Toll«, bemerkte
John D. Gemeinsam überlegten sie, ob sich Rahul wohl mehr für Männer oder für Frauen
interessierte. Aus der Tatsache, daß Rahul eine Frau sein wollte, leitete Dr. Daruwalla
ab, daß er sich für Männer interessierte. »Das läßt sich schwer sagen«, meinte John
D. Als sie zu dem Sonnendach aus Palmblättern zurückkehrten, unter dem sich die
Töchter Daruwalla niedergelassen hatten, unterhielt sich Rahul Rai mit Julia!
Später meinte Julia:
»Ich glaube, daß er sich eher für junge Männer interessiert, obwohl er vermutlich
auch mit einer jungen Frau vorliebnehmen würde.«
Vorliebnehmen? dachte
Dr. Daruwalla. Promila hatte ihm anvertraut, daß das »arme Kind« im Augenblick eine
schlimme Zeit durchmachte. Offenbar waren sie nicht gemeinsam aus [301] Bombay angereist,
sondern Promila hatte ihren Neffen im Bardez getroffen; er hatte bereits über eine
Woche allein hier zugebracht. Promila zufolge hatte er »Hippie-Freunde« – irgendwo
in der Nähe von Anjuna –, aber es war nicht alles so gelaufen, wie Rahul es sich
erhofft hatte. Farrokh verspürte nicht den Wunsch, Genaueres zu erfahren, aber Promila
teilte ihm trotzdem ihre Vermutungen mit.
»Vermutlich sind
Dinge vorgefallen, die ihn sexuell verwirrt haben«, erklärte sie Dr. Daruwalla.
»Ja, vermutlich«,
meinte der Doktor. Im Normalfall hätte ihn das alles tief beunruhigt, aber seine
erotischen Höhenflüge mit Julia wirkten sich positiv auf den Tag danach aus. Weder
all das, was an Rahul sexuell so »verwirrend« war und Dr. Daruwalla im Grunde auch
irritierte, noch die brüllende Hitze konnten seinen Appetit im mindesten beeinträchtigen.
Mittags war es erbarmungslos
heiß, und nirgends war ein
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