Zirkuskind
Schatten zurückgekehrt,
das ihr der mit Palmwedeln gedeckte Unterstand bot, und hatte sich dort mit diversen
Ölen und Salben eingecremt.
Unter ihrer eigenen
Phalanx von Sonnenschutzdächern cremten die Töchter Daruwalla ihre ungleich jüngeren
und besser erhaltenen Körper mit anderen Ölen und Salben ein. Dann wagten sie sich
unter die furchtlosen Sonnenanbeter – die zu dieser Jahreszeit noch relativ spärlich
vertretenen Europäer. Die [304] Eltern hatten den Mädchen verboten, John D. auf seinen
Mittagsspaziergängen zu folgen, da beide fanden, daß der junge Mann es verdiente,
auch einmal in Ruhe gelassen zu werden.
Doch am vernünftigsten
war die Frau des Doktors. Julia zog sich in die relativ kühlen Zimmer im zweiten
Stock zurück. Dort gab es einen schattigen Balkon mit John D.s Hängematte und einem
Feldbett; der Balkon eignete sich gut zum Lesen und für eine Siesta.
Zeit für ein Nickerchen
war es eindeutig auch für Dr. Daruwalla, der bezweifelte, daß er es bis hinauf in
den zweiten Stock des Hotels schaffen würde. Vom Strandrestaurant aus warf er sehnsüchtige
Blicke zu dem Balkon hinauf, der zu seiner Suite gehörte. Er stellte sich vor, wie
bequem es jetzt in der Hängematte wäre, und spielte mit dem Gedanken, diese Nacht
dort zu schlafen. Falls das Moskitonetz in Ordnung war, würde er sich dort sicher
sehr wohl fühlen und könnte die ganze Nacht das Arabische Meer hören. Je länger
er John D. gestattete, dort zu schlafen, um so selbstverständlicher würde der junge
Mann davon ausgehen, daß das sein Schlafplatz war. Doch Farrokhs neu erwachtes sexuelles
Interesse an Julia ließ ihn in seinen Überlegungen innehalten, denn immerhin gab
es einige Abschnitte in Ein Spaß und ein Zeitvertreib, die er noch nicht mit seiner Frau
erörtert hatte.
Dr. Daruwalla hätte
zu gern gewußt, was James Salter sonst noch geschrieben hatte. Denn so belebend
diese unerwartete Stimulierung für seine Ehe auch gewesen war, fühlte sich Farrokh
doch etwas deprimiert. Was Salter geschrieben hatte, übertraf bei weitem alles,
was er selbst sich jemals würde ausdenken – geschweige denn zu Papier bringen –
können. Übrigens hatte der Doktor richtig vermutet: Einer der Liebenden stirbt,
womit nachdrücklich suggeriert wird, daß eine derart überwältigend leidenschaftliche
Liebe nicht von Dauer sein kann. Zudem endete der Roman in einem Ton, der Dr. Daruwalla
geradezu [305] körperlich weh tat. Am Schluß hatte er den Eindruck, daß das Leben,
das er mit Julia führte und das er schätzte und liebte, verhöhnt wurde. Oder etwa
doch nicht?
Über das französische
Mädchen, die ehemalige Kellnerin und Überlebende, erfährt man am Ende nur folgendes:
»Sie ist verheiratet. Ich nehme an, daß sie Kinder hat. Am Sonntag gehen sie, von
der Sonne beschienen, zusammen spazieren. Sie besuchen Freunde, unterhalten sich,
gehen abends nach Hause, tief eingebunden in das Leben, das in unser aller Augen
so erstrebenswert ist.« Verbarg sich hinter diesen Worten nicht eine gewisse Grausamkeit?
Denn ein solches Leben war doch »höchst erstrebenswert«, oder etwa nicht? überlegte
Dr. Daruwalla. Und wie konnte jemand erwarten, daß das Eheleben es mit der brennenden
Intensität einer Liebesaffäre aufnehmen konnte?
Beunruhigend fand
der Doktor, daß er sich am Ende des Romans wie ein unerfahrener Ignorant fühlte.
Und als noch demütigender empfand er die Gewißheit, daß Julia ihm das Ende wahrscheinlich
so hätte erklären können, daß er es begriff. Es war alles eine Frage des richtigen
Tons; vielleicht hatte der Autor ironisch sein wollen, aber nicht sarkastisch. James
Salters Sprache war glasklar. Wenn etwas unklar war, ging die Wirrköpfigkeit sicher
auf das Konto des Lesers.
Aber Dr. Daruwalla
trennte noch mehr von James Salter und anderen hervorragenden Romanautoren als handwerkliche
Virtuosität. Salter und Autoren seines Kalibers gingen beim Schreiben von einer
Vision aus. Sie alle waren von etwas überzeugt, und zum Teil war es diese leidenschaftliche
Überzeugung, die ihre Romane so wertvoll machte. Dr. Daruwalla war lediglich davon
überzeugt, daß er gern schöpferisch tätig sein, daß er sich etwas ausdenken wollte.
Solche Romanautoren gab es viele, und Farrokh hatte keine Lust, einer von ihnen
zu werden. Er gelangte zu der Erkenntnis, daß ihm eine schamlosere Art der Unterhaltung
entsprach. Wenn er keine Romane schreiben konnte, [306] dann vielleicht Drehbücher.
Schließlich waren
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