ZITRONENLIMONADE (German Edition)
heraus:
„ Hallo, Tante Chris, warum stehst du
hinter einem Tisch? Du siehst aus wie Pippi Langstrumpf!“
„ Dennis!“ Sabine hob wütend ihre
Brauen und ihre Augen blitzten ihren vorlauten kleinen Sohn böse an. Der senkte
erschrocken den Kopf und obwohl mir angesichts seiner unverblümten Worte die
Kehle eng wurde, griff ich schnell ein.
„ Lass nur, Sabine, er hat vollkommen Recht. Gerade
bin ich mir selber ziemlich albern vorgekommen, er hat die Wahrheit nur laut
ausgesprochen.“
Dennis lächelte, erleichtert, dass ich
ihn unterstützte. Er war ein intelligentes Kind und riss mich aus meiner
komischen Stimmung, indem er erklärte:
„ Tante Chris, es ist toll, dass du nicht mehr
dauernd im Bett liegen musst. Du brauchst den Tisch zum Stehen, oder?“ Als er
weiter redete, mit schiefgelegtem Kopf und todernster Miene, erinnerte er mich
fatal an seine Mutter als Kind. „ Du wirst sehen, bald stehst du ganz ohne das
Gestell und dann läufst du hier raus und kommst uns besuchen!“
„ Oh, ja, Dennis, nichts lieber als
das!“
Bei dem Gedanken daran, mal wieder bei
Sabine daheim im trauten Familienkreis am Tisch zu sitzen und den Trubel, den
drei lebhafte Kinder samt Eltern veranstalten, zu genießen, ging mir das Herz
auf. Sabine fasste Dennis an den Schultern und schob ihn Richtung Ausgang.
„ Wir gehen in die Cafeteria, mach du
schön deine Übungen weiter. In einer halben Stunde kommen wir wieder.“ Die
"Krönung" dieser Übung bekamen die beiden glücklicherweise nicht mehr
mit. Kaum waren sie weg, band Karina an die rechte Seite des Tischs einen
gasgefüllten Luftballon und ich musste den mit meiner rechten Hand treffen!
Fragen Sie lieber nicht, wie oft ich daneben haute oder den Arm erst gar nicht
hoch genug bekam.
Trotz aller Handicaps war ich
mittlerweile froh, die Intensivstation hinter mir gelassen zu haben. Obwohl ich
gestehen muss, als mir vor vier Tagen von Dr. Hieber die Verlegung bereits für
den kommenden Vormittag angekündigt wurde, mutierte ich regelrecht zum Feigling
und alles in mir wehrte sich gegen eine Veränderung. Auch diesen Wesenszug
kannte ich bisher nicht an mir. Durch die starke Abhängigkeit von anderen sowie
der Tatsache, dass sich mein Leben von einer auf die andere Sekunde schlagartig
radikal verändert hatte, war ich zu einem Angsthasen geworden.
Ich machte mir Sorgen, wie das Personal
auf der neuen Station mit mir umgehen würde, ob da ebenso so eine Hexe wie
Agnes dabei wäre, ob ich dort auch so umfassend überwacht werden würde – ich
dachte speziell an gefährliche Situationen wie das Verschlucken – und alles in
mir schrie danach, beim Althergebrachten zu verharren. Da weiß man doch
wenigstens, wie man dran ist! Ein sicheres Zeichen für meine vorzeitige
Alterung. Sagt man nicht Älteren nach, dass sie jegliche Veränderungen
ablehnen? Natürlich gab ich mir nicht die Blöße, meine Befürchtungen und
Bedenken laut zu äußern, wer bleibt schon freiwillig auf der Intensivstation? Vielmehr
spielte ich bei dieser Visite Prof Hieber gegenüber die Selbstbewusste:
„ Sagten Sie nicht, ich müsse erst
diesen Ball nach Ihnen werfen, damit ich hier raus komme?“ Ich hob den kleinen
blauen Igelball, der wie immer in meiner rechten Hand lag. Heimlich hoffte ich
doch tatsächlich, er würde seine Drohung wahr machen und mich aufgrund meiner
Armschwäche noch einige Tage auf seiner Station behalten.
„Werfen Sie ihn!“ forderte er mich
umgehend auf. Ich konzentrierte mich unheimlich und machte mit der rechten Hand
eine minimale Bewegung auf ihn zu, wobei ich den Ball los ließ. Der fiel auf den Boden, rollte zumindest
andeutungsweise in seine Richtung und seine ihn umgebenden „Jünger“ lächelten,
als er lakonisch meinte: „Das genügt mir. Bevor Sie mich ernsthaft damit
verletzen, verlege ich Sie lieber zu meinem Kollegen, Dr. Saltmann.“Tja, das
hatte ich von meinem Versuch, schlau und witzig zu erscheinen.
Am folgenden Morgen wurde ich
unmittelbar nach dem Frühstück von zwei jungen Schwestern samt Bett abgeholt
und in den dritten Stock auf die neurologische Station gefahren. Schon die
Fahrt durch die Krankenhausflure empfand ich als aufregend. Ich spürte die
kühle Zugluft auf meiner Haut und fröstelte prompt. Da liefen unheimlich viele
Leute herum, Schwestern, Pfleger, Putzfrauen, Besucher und natürlich Patienten,
die man an ihren Schlafanzügen und Bademänteln erkannte (die Glücklichen,
können frei auf dem Gang
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