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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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führte in seiner Arbeitsweste einen großen roten Marker mit sich und malte gern ein plumpes Clownsgrinsen auf die schlaffen Gesichter der Versprengten, die er jeweils noch mit einem dazu passenden Namen taufte. Dann presste er die Mündung seines Sturmgewehrs an die Schläfe von Mr. Chuckles oder Ihrer Erhabensten Hoheit Lady Griselda, lächelte recht freundlich und ließ sich von Angela fotografieren, ehe er ihnen den Schädel zerschoss. Sonntagnachts im Hauptquartier teilte sich No Mas ein Feldbett mit einem Jungen von der Schreibstube, der ihm seine Souvenirs auf Hochglanzpapier ausdruckte. »Wenn du Captain Giggles triffst, ruf mich an – ich kann den Kerl nicht leiden«, gab einer seiner Zuhörer seinerseits zum Besten und hielt ihm einen Ich-Herz-New-York-Becher voller Whiskey hin.
    Angela und Carl waren diskreter, was ihre Verfehlungen anging, zumindest in gemischter Gesellschaft, aber Mark Spitz hatte sie schon in Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit in einer Banditentruppe schwelgen hören, die schwächere Überlebende um Aspirin und Thermounterwäsche erleichterte und wer weiß was sonst noch für Übeltaten beging. Er konnte sich ohne weiteres ausmalen, wie sie in der Hierarchie des Amerikanischen Phönix mühelos in Positionen käuflicher Autorität aufstiegen. Individuen befragten, die wegen illegaler Sammeltätigkeit angeschwärzt worden waren – »Ich weiß auch nicht, wie die ganzen Schuhe in meinen Schrank gekommen sind, Officer, aber sind sie nicht göttlich?« – und die konfiszierten Güter dann auf dem Schwarzmarkt verhökerten. Oder etwa als New Yorker Vermieter arbeiteten und den Neuankömmlingen nach Lust und leisetreterischer Laune Wohnungen zuwiesen und für ein besseres Gebäude, einen besseren Häuserblock, Südlage gelegentlich auch Schmiergeld oder sexuelle Gefälligkeiten entgegennahmen. Zwei Badezimmer, Parkblick und Keller würden in der neuen Ordnung wieder ihre Geltung gewinnen, und die ungesunde Bürokratie würde ihre Avatare hervorbringen. Sie kamen aus Connecticut, dem widerlichen Connecticut.
    Der Regen nahm zu. Die beiden Einheiten stellten sich unter der purpurrot-orangefarbenen Markise einer beliebten Doughnut-und-Kaffeekette unter und informierten einander über die zurückliegende Woche. Bravo berichtete, wie sie jede Menge verwesender Selbstmörder aus den Bänken einer ukrainischen Kirche geräumt und damit einen halben Tag verloren und zwei Pakete Leichensäcke gefüllt hatten. Das Übliche: Kommt nach vorn und nehmt euch jeder einen Becher, es geht ganz schnell. Die Arbeit war erst halb geschafft, als Bravo es aufgab, ihnen die Kruzifixe aus den Händen zu hebeln, und sie einfach mit den Leichen zusammen in die Säcke steckte.
    Von Mark Spitz’ Überrumpelung abgesehen, hatte Omega ein paar eher ereignislose Planquadrate hinter sich, und Kaitlyn in ihrer Umsicht ließ den Vorfall unerwähnt. Sie erzählte ihnen schließlich von dem geheimen chinesischen Nachtklub. Omega war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen Gangstertreff gehandelt hatte, zwei wackelige Treppen hoch über einem Laden, der verschrumpelte Kräuter verkaufte, die wie die Finger der Toten aussahen. Das Hinterzimmer war voller Spielautomaten, Pistolen, deren Griffe mit Klebeband umwickelt waren, und Pin-ups von Minderjährigen. In einem Alkoven stand ein Hightech-Safe, voll mit wer weiß was, Opium und diversem Belastungsmaterial. Es war eine Mobster-Höhle wie aus irgendeinem Film, sagte sie ihnen. Sie hatte vergessen, dass sie den Laden schon vor zwei Wochen gefunden hatten und sie die Geschichte bereits erzählt hatte. Niemand unterbrach sie. Es regnete. Sie machten Kaffeepause.
    Mark Spitz rieb sich die Augen. Er hätte Bravo von dem traurigen Irrläufer in der Reparaturwerkstatt erzählt, aber es fiel ihm schwer zu artikulieren, warum ihn die Sache faszinierte. Der Tüftler saß, als sie ihn gefunden hatten, an seinem majestätisch überladenen Arbeitstisch, über die Eingeweide eines Videorekorders gebeugt. Um seine Hände herum türmten sich dicht an dicht die Metallgehäuse von Geräten, eine dünne Skyline aus Metall. Der alte Mann war von veralteter Technik umgeben, dem unansehnlichen Aufgebot von Apparaten, die einer früheren Generation als Spitzenprodukte zum Musikhören oder Toasten gedient hatten. Welche Sorte von Idioten liebte diese kaputten Geräte so sehr, dass sie im Internet nach diesem Laden gesucht und Lebenszeit dafür geopfert hatte, um sie hierher zu bringen und

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