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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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grotesken Tanz auf.
    Ein beißender Geruch entstand, als sich zuerst ihre Blase und dann ihr Darm entleerten. Sie schrie aus voller Kraft, so laut, dass ihre Lungen zu bersten schienen, und doch war nicht mehr als ein ersticktes Röcheln zu hören.
    Als sie nach einer halben Ewigkeit losgelassen wurde, rutschte sie auf dem nassen Pflaster zusammen wie ein alter, ausgedienter Müllsack.
    Ihr letzter klarer Gedanke hatte Claudius Zorn gegolten, der in diesem Moment mit heruntergesacktem Kinn auf seinem Sofa saß und leise schnarchte.
    *
    Gegen vier Uhr morgens lag der Marktplatz einsam in der Dämmerung. Vor zwei Stunden hatte sich der Nebel verzogen, kurz darauf war der Regen mit verstärkter Kraft zurückgekehrt und peitschte nun gegen die Bleiglasscheiben des Rathauses, lief von den kupferbeschlagenen Dächern der Marktkirche in Strömen auf das frisch sanierte Kopfsteinpflaster und bildete dort Pfützen, die auf dem besten Wege waren, sich in kleine Seen zu verwandeln. Eine einsame Straßenbahn bahnte sich rasselnd den Weg durch das Wasser, doch abgesehen vom Fahrer, der schlaftrunken in seiner Kabine hockte, gab es weit und breit niemanden, der jetzt, kurz vor Morgengrauen, auf den Beinen war.
    Wäre in diesem Moment jemand wach gewesen und hätte den Blick nach oben zu einem der Kirchtürme gerichtet, dann hätte er dort, in siebzig Meter Höhe, die menschliche Leiche entdeckt, die wie ein übermütiger Bungeespringer kopfüber aus einem der reich verzierten spätgotischen Fenster hing.
    Tief unten auf dem Markt war es still. Die Stühle, die der Besitzer des italienischen Nobelrestaurants in der vergeblichen Hoffnung auf besseres Wetter ins Freie gestellt hatte, glänzten im Regen.
    Die Stadt würde noch eine Weile schlafen. Es war Samstag, kaum jemand musste arbeiten, die Läden würden erst in ein paar Stunden öffnen, und es gab keinerlei Veranlassung, die Behaglichkeit des warmen Bettes ohne triftigen Grund zu verlassen.
    Und so schaukelte Staatsanwalt Philipp Sauer einsam und leise dort oben im Wind. Niemand registrierte das Regenwasser, das von seiner markanten Nase troff. Auch das Blut, das aus einer klaffenden Halswunde drang, rann unbemerkt hinab, wurde von den Windböen ergriffen und vermischte sich mit dem Regen, der weiterhin unablässig zu Boden fiel.
    Als dann die Uhr am Turm der alten Kirche schlug, kümmerte dies außer ein paar aufgeschreckten Krähen keine Seele. Die ersten Menschen, die wenig später geduckt durch den Regen hasteten, waren viel zu sehr mit sich selbst und ihren nassen Schuhen beschäftigt, und schließlich war es fast schon acht, als sich die völlig durchweichten Bankowsky-Slipper des Staatsanwalts lösten, das Seil von seinen Füßen glitt und er mit einem fettigen Klatschen zwischen einem Obststand und einem Fahrkartenautomaten auf dem Boden aufschlug.
    Schon zu Lebzeiten hatte sich der ehemals angehende Oberstaatsanwalt so gut wie keine Freunde gemacht. Auch jetzt, da er tot war, sollte sich dies nicht ändern. Zumindest der türkische Obsthändler war wenig erbaut, als der leblose Staatsanwalt so unvermittelt in seine Melonen krachte.

TEIL ZWEI
    I focus on the pain
    The only thing that’s real.

Vierzehn
    Der spektakuläre Tod von Staatsanwalt Sauer versetzte die Stadt in Aufruhr und bescherte ihr eine Aufmerksamkeit, die sie in dieser Form bisher nur selten erfahren hatte. Selbst zehn Jahre zuvor, als Paul McCartney während einer Welttournee sein einziges Deutschlandkonzert im Stadion gegeben hatte, war der Medienrummel nicht so groß gewesen.
    Fünf Minuten nach acht war der Notruf bei der Polizei eingegangen, bereits eine halbe Stunde später fand sich der erste Übertragungswagen einer Fernsehanstalt ein. Bis zum Mittag sollte der halbe Marktplatz von Reportern, Kameramännern und Fotografen wimmeln.
    Um den Fundort vor dem Regen zu schützen, wurde am Fuße der Marktkirche ein riesiges Zelt errichtet. Ein blickdichter, mannshoher Bauzaun wurde aufgestellt und die untere Hälfte des Marktplatzes für die Öffentlichkeit gesperrt. Auf diese Weise sollten die Fotografen ferngehalten werden. Eine vergebliche Hoffnung, denn überall in den umliegenden Häusern hatten sie sich versteckt: In den Fenstern des Kaufhauses, auf dem Balkon der Commerzbank, ja selbst auf dem Dach des Rathauses lauerten sie, die Teleobjektive auf den Boden gerichtet wie Scharfschützen ihre Gewehre während einer Geiselnahme.
    Zorn stand ein wenig abseits, die Hände in den Hosentaschen, und

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