zorneskalt: Thriller (German Edition)
Hier ist Rachel von NNN «, sagte ich, als er sich meldete. Darauf folgte eine Pause.
» Rachel, sorry, mir sind in diesem Fall die Hände gebunden. Und es gibt auch keine neuen Erkenntnisse. Ich verspreche Ihnen, Sie als Erste zu informieren, wenn es welche gibt.«
» Sie ist eine Freundin von mir«, sagte ich und hörte ihn scharf Luft holen.
» Ach, tatsächlich?«, fragte er wie beiläufig. Ich hatte mir vorgestellt, er würde überraschter sein.
» Eine alte Freundin«, fügte ich hinzu.
» Wann können Sie herkommen?«, fragte er.
» Ich bin in zwanzig Minuten da.«
Dein Gesicht hing im Polizeirevier an der Wand, dein lockiges dunkelbraunes Haar, dein gebräunter Teint und diese Augen in leuchtendem Kristallblau. Alle sagten immer, du müsstest zur Haarfarbe passend eigentlich braune Augen haben, und weil sie das nicht waren, wirkten sie umso hypnotischer. Man hätte glauben können, du überblicktest den Raum und lächeltest befriedigt über das Gesehene. Denn in diesem schlecht gelüfteten Großraumbüro arbeiteten fünfzehn oder zwanzig Leute, von denen jeder einzelne nach dir fahndete.
Unter deinem Foto war auf einer Weißwandtafel ein Zeitstrahl mit Ortsangaben aufgetragen. Brunswick Place, Marine Parade, Cantina Latina, King’s Road. Und dann nichts. Der Punkt, an dem du dich in Luft aufgelöst hast.
Ich wartete mitten im Raum stehend darauf, dass Detective Chief Inspector Gunn sein Gespräch mit einer jungen Blondine in Jeans und rosa Bluse beendete. Im auffälligen Gegensatz zu seiner hünenhaften Gestalt war sie nur wenig über einen Meter fünfzig groß. Ich versuchte mitzuhören und bekam genug mit, um zu wissen, was sie tat: Sie wertete das Bildmaterial der Überwachungskameras vom Freitagabend aus, um zu sehen, ob du irgendwo aufgekreuzt warst.
Ein Telefon, das auf einem leeren Schreibtisch neben mir klingelte, riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah mich um, ob jemand den Anruf entgegennehmen würde. Niemand bewegte sich. Das Klingeln ging endlos weiter, schien in meinem Kopf lauter zu werden. Merkten sie denn nicht, dass der Anruf wichtig war? Wenn es jemand mit Informationen war? Oder du selbst? Und dann hörte das Klingeln auf.
DCI Gunn führte mich durch den großen Raum in sein Dienstzimmer. Bisher hatten wir uns immer in einer alten Kneipe unweit der Church Road in Hove getroffen. Ich nannte ihn beim Vornamen und bestellte meistens ein Pint Poacher’s Choice für ihn und eine Cola light für mich. Beim dritten Pint, wenn sein Gesicht leicht vom Alkohol gerötet war, war er eher bereit, mir Informationen zukommen zu lassen. Damit war er allerdings nicht allein. Woher, glaubst du, bekommen wir sonst unsere Storys? Sobald Cops oder Kriminelle sich als redselig entpuppen, ist die Art, wie wir sie umgarnen, nicht sehr verschieden. Schmeichelei und Alkohol (und gelegentlich etwas Schmiergeld) wirken Wunder, und ehe man sichs versieht, bekommt man Tipps und Exklusivinformationen. Das alles gehört zu dem Spiel, das wir spielen, um unseren Vorsprung vor der Meute zu halten. Und wer einen direkten Draht zu höheren Dienstgraden hat, kann bei einer großen Story die Pressesprecher mit ihrem stereotypen » kein Kommentar« umgehen.
Aber das Allerheiligste, sein Dienstzimmer, war für mich Neuland. Ich merkte, dass mein linkes Auge zuckte, was es immer tut, wenn ich nervös bin. Und dieses Wissen bewirkte, dass mein Puls sich beschleunigte, und ehe ich wusste, was geschah, war ich von dem kurzen Weg außer Atem.
» Bitte«, sagte DCI Gunn und bot mir mit einer Handbewegung einen Besucherstuhl an. Seine Stimme klang steif, förmlich. Dies würde kein vertrauliches » Roger«-Gespräch sein.
Ich nahm Platz und betrachtete die ordentlichen Papier- und Aktenstapel auf dem Schreibtisch. An den Rändern des Monitors seines PC s klebten gelbe Haftnotizen in zwei fast symmetrischen senkrechten Linien. Der Bildschirm war leicht von mir weggedreht, sodass ich nicht sehen konnte, was auf den Zetteln stand. Auf der Schreibtischplatte lagen parallel zur Tastatur ein Füller von Parker und rechtwinklig dazu ein Tacker. Solche Präzision beeindruckte mich.
Komisch, nicht wahr, was ein Schreibtisch über jemanden aussagen kann? Betrachtete ich die Akten und den Füller und den Tacker, sah ich DCI Gunn als einen Mann, der unter den Wechselfällen, den Zufälligkeiten seines Jobs litt und sich verzweifelt um Ordnung bemühte, wo immer sie für ihn erreichbar war. Aber vielleicht war er auch nur
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