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zorneskalt: Thriller (German Edition)

zorneskalt: Thriller (German Edition)

Titel: zorneskalt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette McBeth
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verlieren? Und dann hatte ich ein schlechtes Gewissen und bot an, abends nach St. Albans hinauszufahren.
    » Damit du nicht allein bist, Sandra«, sagte ich. » Ich will nicht, dass du allein bist.«
    Sie stimmte zu, allerdings mit einer schwachen Einschränkung: » Nur wenn’s dir nicht zu viel Mühe macht.« Ich dachte daran, wie ich nach einem anstrengenden Tag eine Stunde im Berufsverkehr nach St. Albans unterwegs sein würde.
    » Nicht doch«, erklärte ich ihr. Außerdem hatte ich sonst nichts zu tun.
    Würde St. Albans durch einen Sport verkörpert, hatte Jonny einmal im Scherz gesagt, wäre das Golf: steif und anständig, typisch Mittelstand. Als ich bekannte, dass mir seine gepflegte Ordnung gefiel, neckte er mich mit der Behauptung, ich würde allmählich wie seine Mutter. » Insgeheim wünschst du dir dieses Leben, nicht wahr? Ein properes Einfamilienhaus mit Garten und Blumenampeln auf beiden Seiten der Haustür. Kauf dir bloß keinen Nissan Micra, sonst muss ich mir ernstlich Sorgen machen«, hatte er schmunzelnd gesagt.
    Als ich in der Einfahrt parkte, fiel mir auf, dass Sandras tadellos gepflegter, zehn Jahre alter Micra durch einen glänzend silbernen VW Golf ersetzt worden war.
    Der Wind blies mir ins Gesicht, als ich an der Haustür klingelte und darauf wartete, dass Sandra durch die Diele kam. Als sie mir aufmachte, begrüßte sie mich, als wäre ich bloß auf eine Tasse Tee vorbeigekommen. Ich umarmte sie und küsste sie auf beide Wangen, weil ich fand, die Situation erfordere mehr als nur einen Schmatz auf die Wange. Aber als ich spürte, wie steif ihr Körper in meinen Armen wurde, erkannte ich, dass meine Geste nicht willkommen war.
    » Komm rein«, sagte sie und nahm mir den Mantel ab. » Ich mache uns einen Tee.«
    In der Küche setzte sie mich an den schweren Eichentisch und beschäftigte sich damit, den Kühlschrank, Schränke und Schubladen zu öffnen und zu schließen, sie holte Teelöffel, Teller, Milch, Becher und einen anscheinend frisch gebackenen Zitronenkuchen (mit Glasur) heraus und deckte damit ordentlich und präzise den Tisch, als wäre dies der notwendige äußere Rahmen für unser Schwätzchen. Jonnys Name, noch immer unausgesprochen, hing bedrückend im Raum. Ich studierte das Blumenmuster der Wachstuchdecke auf dem Tisch, um mich von ihrem manischen Pfeifen abzulenken und dem Drang zu widerstehen, das Milchkännchen durch die Küche zu werfen und es an ihrer perfekten enteneiblauen Wand zerschellen zu sehen – einfach irgendwas zu tun, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken und sie dazu zu zwingen, sich hinzusetzen und mit mir über den wahren Grund meines Besuchs zu reden. Jonny. Stattdessen atmete ich tief durch und konzentrierte mich auf das Geräusch des ans Fenster trommelnden Regens.
    Sandra war mir immer vorbildlich beherrscht erschienen, vielleicht etwas gouvernantenhaft und zu Ausdrücken wie » Unsinn im Quadrat« neigend, aber solide und stets auf Haltung bedacht. Jonny hatte mir erzählt, wie sie sich nach dem Tod seines Vaters vor zweieinhalb Jahren ins gesellschaftliche Leben im Golfclub gestürzt, an Backwettbewerben teilgenommen und so ihre Zeit ausgefüllt hatte, statt herumzuhocken und Trübsal zu blasen.
    Und versteh mich nicht falsch. Ich konnte sehen, dass der Kuchen und der perfekt gedeckte Tisch für sie eine Art der Krisenbewältigung waren, aber das war eben das Problem. Sie bewältigte nichts, sondern zerfiel sichtlich. Ihre hektisch glänzenden Augen, das eingefallene Gesicht und das nachlässig frisierte Haar erzählten mir eine Wahrheit, die sie niemals zugegeben hätte. Die Angst fraß sie auf. Ihr Sohn war der einzige nahe Angehörige, den sie noch besaß, und nun schien auch er ihr zu entgleiten. Das war schmerzhaft anzusehen.
    Endlich setzte sie sich und fixierte mich mit forschendem, bittendem Blick. Ich fühlte mich unter diesem Erwartungsdruck wanken. Sie wollte, dass ich ihr Theorien anbot, die diese Situation wegerklären konnten, obwohl ich selbst welche suchte. Ich wollte ihr weiß Gott helfen; ich wünschte mir nur, sie hätte mein Gesicht länger als eine Sekunde richtig betrachtet und meinen Schmerz wahrgenommen. Auch ich taumelte, versank tiefer und tiefer in Verzweiflung. Jonny war ihr Sohn, aber er war auch mein Lebenspartner, meine Zukunft.
    Sie goss den Tee durchs Sieb, und ich hörte sie sagen: » Für dich nur wenig Milch. An solche Dinge denke ich immer.« Ich wusste, dass sie darauf wartete, dass ich das Gespräch begann,

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