zorneskalt: Thriller (German Edition)
deshalb tat ich noch etwas mehr Milch in meinen Tee und nahm einen kleinen Schluck davon, nur um Zeit zu gewinnen, damit mein Gehirn sich anstrengen und die richtigen Worte, tröstend und beruhigend, finden konnte.
» Sie reden von ihm, als wäre er irgendwie schuld«, sagte sie schließlich, während sie ihren Tee umrührte. » Jede Stunde in den Nachrichten. Ich kann’s nicht mehr hören.« Sie drehte sich um, starrte das Küchenradio an, als traute sie ihm nicht, stumm zu bleiben, und nahm einen Schluck. » Und auch dein Sender, Rachel. Von dem hätte ich mehr erwartet. Kannst du nicht erreichen, dass das aufhört?« Ihre Augen blitzten mich eine Sekunde lang an, bevor sie wieder auf den Tisch sah. » Kuchen?«, fragte sie und schob den Zitronenkuchen zu mir herüber.
Die Aufforderung war unverkennbar. Sorge dafür, dass das aufhört. Ich begann mir zu wünschen, ich wäre nicht gekommen.
» Sie bringen diese Storys, bis er gefunden wird, Sandra, und auch wenn ich gern die Macht hätte, sie daran zu hindern: Du weißt, dass ich das nicht kann. Er war zuletzt mit Clara zusammen, deshalb führt die Polizei ihn als Verdächtigen«, erklärte ich ihr so behutsam wie möglich.
» Ich weiß, wie die Justiz funktioniert, Rachel. Ich habe auch schon Fernsehkrimis geguckt«, sagte sie abweisend. Sie begann, mit dem Teelöffel an ihren Becher zu klopfen. » Was ich nicht verstehe, ist die Tatsache, dass er mit Clara zusammen war. Er mag das Mädchen nicht mal.« Die letzten Worte spuckte sie aus, als wären sie Schmutz in ihrem Mund. » Er hat gesagt, sie benehme sich immer, als wärst du ihr etwas schuldig. Eine merkwürdige Äußerung, Rachel, wirklich sehr merkwürdig.«
Meine Geduld war beinahe erschöpft. Ich wusste, dass Sandra litt, ich wusste, dass Jonnys Verschwinden sie quälte, aber dies alles war wirklich nicht fair. » Ich bin nicht dein Punchingball!«, hätte ich am liebsten geschrien. Ich konnte kaum glauben, dass Jonny sie ins Vertrauen gezogen hatte, aber selbst wenn er’s getan hatte, hätte er bestimmt nicht gewollt, dass sie diese Informationen als Waffe gegen mich einsetzte.
Ich zog den Kuchen zu mir heran, schnitt ein Stück ab und legte es auf meinen Teller. Weil meine Finger von der Glasur klebrig waren, leckte ich sie ab. Sie wartete, erhoffte sich eine Antwort, aber ich hatte es nicht eilig damit. Deshalb sah ich mich um, während ich das Kuchenstück mit den Fingern zerteilte. Am Kühlschrank war mit Haftmagneten ihr Terminkalender befestigt. Das heutige Datum war umkringelt, daneben stand in Großbuchstaben: BUCHCLUB . Die morgige Eintragung lautete: GOLF / MARJORIE . Neben einem Tag der kommenden Woche stand: BRIDGE . All die Ereignisse, die ihre Mittelstandsexistenz strukturierten. Sie würden jetzt ohne sie ablaufen, obwohl ich vermutete, dass ihr von dem Tratsch die Ohren klingen würden.
» Ich glaube nicht, dass Jonny dir alles erzählt hat«, sagte ich schließlich. Ohne auf eine Antwort zu warten, erklärte ich ihr, hinter dir lägen schwierige Zeiten. Clara hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen. Das war meiner Meinung nach der Ausdruck, der deine Krankheit vornehm genug umschrieb, um für Sandra akzeptabel zu sein.
Ich lehnte mich zurück, nahm noch ein kleines Stück Kuchen und hoffte, diese Erklärung werde genügen.
» Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie das an dir auslässt, als wärst du an ihrem Nervenzusammenbruch schuld gewesen«, sagte sie und starrte mich länger als nötig an. Ich ließ einen langen, frustrierten Seufzer hören. So hatte ich’s nicht gemeint. Sie verdrehte mir das Wort im Mund.
Ich spürte ein Stechen im Kopf, das vielleicht vom Hunger kam, deshalb biss ich ein weiteres Stück Kuchen ab. Von der Glasur aus Zucker und geriebener Zitronenschale lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Weil ich kauend nicht reden konnte, sprach Sandra weiter. » Wann hast du sie zuletzt gesehen, Rachel?«, fragte sie. Das war die auf der Hand liegende Frage, die man mir in nächster Zeit immer wieder stellen würde, bis ich die Antwort herunterrasseln konnte, als läse ich sie vom Blatt.
Bis dahin hatte ich sie erst Detective Chief Inspector Gunn beantwortet, alle Details sorgfältig überlegt und mir auch gemerkt, was ich gesagt und wie ich es gesagt hatte.
» Vor zweieinhalb Wochen«, erklärte ich ihr, » bei uns in der Wohnung. Der Zeitpunkt war nicht besonders günstig. Jonny und ich wollten uns mit ein paar Freunden in der Stadt zum Abendessen
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