zorneskalt: Thriller (German Edition)
entwaffnen würde. » Sie ist nur so fragil, dass ich oft das Bedürfnis hatte, mich um sie zu kümmern, weil es sonst vielleicht niemand getan hätte.«
» Du bist nicht ihre einzige Freundin, Rachel«, sagte sie abwehrend. Und dann: » Hör mal, ich hätte nicht kommen sollen.« Ich sah sie nach ihrem Rucksack greifen, als wolle sie gehen. » Ich weiß nicht, was zwischen dir und ihr passiert ist, aber irgendwas war nicht in Ordnung.«
» Ich habe immer versucht, für sie zu sorgen, aber das war nie …«
» Als sie nach Weihnachten wiederkam, war sie anders. So als würde sie innerlich zusammenschrumpfen.«
» Sie ist beim Skifahren schwer gestürzt«, sagte ich. » Sie hatte eine Rippenprellung. Das hat sie ziemlich mitgenommen. Ich denke, das wäre für jeden ein Schock gewesen.«
Durch meine Sonnenbrille konnte ich beobachten, wie Amber mit leicht schief gehaltenem Kopf die Augen zusammenkniff, als versuche sie, etwas zu sehen, das nicht recht zu erkennen war.
» Wieso hast du dich mit ihr abgegeben? Ich meine, sie hat sich doch nie besonders viel Mühe gegeben. Würde mich jemand so behandeln, würde ich ihn fallen lassen.«
Ich zuckte zusammen. Amber schilderte mich als verzweifelte, bedürftige Person, die sich an jemanden klammerte. Das musstest du ihr suggeriert haben, Clara. Es machte mich noch besorgter um deinen Geisteszustand, denn nichts hätte weiter von der Wahrheit entfernt sein können.
» Ich glaube, du verstehst sie nicht wie ich«, sagte ich ruhig.
» Meinst du? Ich habe die Anrufe und die SMS und die Einladungen gesehen, die sie ausgeschlagen hat. Sie wollte Freiraum.«
Ich sah Amber etwas Farbe bekommen, als sie deinetwegen in Rage geriet. Aber wie konnte sie unsere Freundschaft verstehen, wie konnte das irgendjemand? Etwas so Besonderes kann man nicht einfach verdorren und eingehen lassen. Man muss alles in seiner Macht Stehende tun, um sie zu retten.
Ich sah kopfschüttelnd zum Old Pier hinüber – nun verbrannt und verkohlt, das nackte Metallgerüst verdreht –, auf dem wir als Teenager oft gesessen hatten.
Ich setzte meine Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch.
» Tut mir leid, dass du einen so schlechten Eindruck von mir hast. Das ist schwierig zu erklären. Clara und ich waren wie Schwestern.« Ich machte eine kurze Pause, als suchte ich nach Worten. » Das soll jetzt wirklich nicht gönnerhaft klingen, Amber, weil ich weiß, dass Clara neue Freunde hat, die ich ihr von Herzen gönne. Aber ich bin mir nicht sicher, ob alle verstehen, wo sie herkommt.« Ich beobachtete, wie Ambers Gesicht sich bewölkte. Du hast es ihr nicht erzählt, Clara. Du hast es ihr nicht erzählt. » Hast du auch nur die geringste Ahnung, wo sie die letzten sieben Jahre verbracht hat?«, fragte ich.
Amber schüttelte langsam den Kopf.
» Das habe ich mir gedacht.« Ich beugte mich zu ihr hinüber. » Normalerweise würde ich das nie jemandem erzählen, aber unter den jetzigen Umständen ist’s wichtig, dass wir offen und ehrlich sind. Du musst verstehen, dass Claras Bezug zur Realität nicht immer so fest war, wie er hätte sein sollen.«
Das sicherte mir endlich ihre Aufmerksamkeit. Sie saß mit offenem Mund da, hörte gespannt zu und ließ zwischendurch kleine Mitleidslaute hören, als ich deine Story erzählte, Clara. » Ich verstehe«, sagte ich, um einen letzten Schnörkel anzubringen, » dass du mir vielleicht nicht glauben willst. Aber die Polizei weiß alles. Sie wird es dir sicher bestätigen.«
Amber schüttelte den Kopf, als wolle sie sagen, das sei nicht möglich. Und ich fühlte ihren Widerstand allmählich verebben.
Wir fingen mit Freitagabend an. Als Erstes schilderte ich die Ereignisse aus meiner Sicht, nannte Amber meine blinden Flecke und zählte Punkte auf, zu denen sie vielleicht Erhellendes würde beitragen können. Ich wusste, dass sie ihre Aussage nochmals mit der Polizei würde durchgesehen haben. So würde es mir hoffentlich gelingen, Amber die Informationen zu entlocken, die ich jetzt nicht mehr von der Polizei erhielt.
Sie sagte, du hättest vorgehabt, dich mit mir zu treffen, wenigstens habe sie dich so verstanden. » Vorher wollte noch irgendjemand bei ihr vorbeikommen. Vielleich t hat er sich verspätet, und sie war deshalb zu spät dran.«
Von diesem Besuch hast du nie gesprochen. Du warst angeblich krank.
» Er?«, fragte ich.
» Richtig, ein Mann, mehr weiß ich auch nicht.«
Jonny.
Ich sah es wieder, das Foto von euch beiden, auf dem er sich auf
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